Entscheidungsstichwort (Thema)
Überlanges Gerichtsverfahren. Entschädigungsklage. einfach Beigeladener im Ausgangsverfahren. kein immaterieller Nachteil. Widerlegung der Vermutung. fehlende Geltendmachung eigener Rechte. theoretische Möglichkeit des späteren Rückgriffs durch eine Verfahrenspartei. keine entschädigungspflichtige Ungewissheit
Leitsatz (amtlich)
Bei einem nach § 75 Abs 1 SGG einfach Beigeladenen ist im Falle einer überlangen Verfahrensdauer regelmäßig kein immaterieller Nachteil nach § 198 Abs 2 S 1 GVG zu vermuten. Allein der Umstand der einfachen Beiladung reicht nicht aus, um eine Nachteilsvermutung zu begründen. Ein einfach beigeladener Verfahrensbeteiligter kann deshalb im Allgemeinen einen Schadensersatzanspruch wegen einer unangemessenen Dauer des Gerichtsverfahrens nach § 198 Abs 1 S 1 GVG nur dann haben, wenn er im Einzelfall tatsächlich nachweisbar einen Schaden erlitten hat.
Orientierungssatz
1. Ein entschädigungspflichtiger immaterieller Nachteil scheidet insofern aus, wenn der einfach Beigeladene im Ausgangsverfahren zu keinem Zeitpunkt die Verletzung eigener Rechte geltend gemacht hat und solche auch nicht erkennbar sind (Abgrenzung zu LSG Schleswig vom 16.8.2013 - L 12 SF 4/12 EK).
2. Die stets bestehende theoretische Möglichkeit, dass zukünftig vielleicht einmal Klage gegenüber dem Beigeladenen erhoben werden könnte, begründet keine entschädigungspflichtige Ungewissheit.
Nachgehend
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Die Revision wird zugelassen.
Der Streitwert wird auf 11.100,00 EUR festgesetzt.
Tatbestand
Die Klägerin begehrt als ehemals Beigeladene eine Entschädigung wegen einer überlangen Verfahrensdauer eines Klageverfahrens (bestehend aus drei verbundenen Verfahren) vor dem Sozialgericht Magdeburg (SG).
In dem führenden Verfahren (zunächst S 22 SO 55/11, später S 19 SO 55/11) erhob der Prozessbevollmächtigte des damaligen Klägers G. D., dieser vertreten durch seine Betreuerin, am 6. April 2011 Klage gegen das Land Sachsen-Anhalt, vertreten durch die Sozialagentur Sachsen-Anhalt. Klagebegehren war die Abänderung eines Bescheides vom 17. Juli 2008 in der Gestalt des Widerspruchbescheides vom 3. März 2011. Gegenstand der angefochtenen Entscheidung war die Ablehnung eines Antrags vom 10. Juli 2008 des im Wohnheim für Suchtkranke der Therapiegemeinschaft W. e.V. in W. untergebrachten Klägers auf Gewährung von Fahrkosten für eine medizinisch angeordnete Fahrt zur ambulanten fachärztlichen Behandlung. Zur Begründung der Ablehnung war ausführt, die Gewährung von Fahrkosten sei keine Leistung der Eingliederungshilfe. Verbunden mit der zunächst ohne Begründung erfolgten Klageerhebung war der Antrag auf Einsicht in die Verwaltungsvorgänge. Das SG übersandte dem Beklagten die Klageschrift mit einem Schriftsatz vom 11. April 2011. Am 4. Mai 2011 erfolgte der Eingang der vom Beklagen übersandten Verwaltungsvorgänge. Diese übersandte das SG mit Schreiben vom 9. Mai 2011 an den Prozessbevollmächtigten des Klägers. Mit einem am 30. Mai 2011 bei Gericht eingegangenem Schreiben reichte der Prozessbevollmächtigte des Klägers die Verwaltungsvorgänge wieder zurück.
In dem Verfahren S 22 SO 57/11 erhob der Prozessbevollmächtigte des damaligen Klägers G. D., dieser vertreten durch seine Betreuerin, am 6. April 2011 Klage gegen das Land Sachsen-Anhalt, vertreten durch die Sozialagentur Sachsen-Anhalt. Er wandte sich gegen die Ablehnung eines Antrags vom 25. August 2008 auf Gewährung von Fahrkosten für eine medizinisch angeordnete Fahrt zur ambulanten fachärztlichen Behandlung mit einem Bescheid vom 25. August 2008 in der Gestalt eines Widerspruchsbescheides vom 3. März 2011.
In dem Verfahren S 22 SO 59/11 erhob der Prozessbevollmächtigte des damaligen Klägers G. D., dieser vertreten durch seine Betreuerin, ebenfalls am 6. April 2011 Klage gegen das Land Sachsen-Anhalt, vertreten durch die Sozialagentur Sachsen-Anhalt, und wandte sich gegen die Ablehnung eines Antrags vom 26. August 2008 auf Gewährung von Fahrkosten für eine medizinisch angeordnete Fahrt zur ambulanten fachärztlichen Behandlung mit einem Bescheid vom 27. August 2008 in der Gestalt eines Widerspruchsbescheides vom 3. März 2011.
Mit einem am 28. Juni 2011 eingegangenen Schriftsatz erfolgte durch den Prozessbevollmächtigten des Klägers eine ausführliche Klagebegründung (acht Seiten), die sich inhaltlich auf alle drei Verfahren bezog.
Das SG verband die drei Verfahren mit Beschluss vom 11. Juli 2011 unter dem führenden Aktenzeichen S 22 SO 55/11 zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung. Die Übersendung des Beschlusses an die Beteiligten erfolgte mit Schreiben vom 14. Juli 2011, wobei für den Beklagten die Klagebegründung zur Kenntnisnahme mit übersandt wurde.
Am 2. August 2012 ging beim SG ein Schriftsatz des Prozessbevollmächtigens des Klägers ein, mit dem dieser um die Anberaumung eines Termins bat und mit einem weiteren am 10. September 2014 ...