Entscheidungsstichwort (Thema)
30-jährige Verjährung von Sozialversicherungsbeiträgen bei vorsätzlicher Vorenthaltung
Orientierungssatz
1. Die private Nutzung eines Firmenwagens stellt als geldwerter Vorteil Arbeitsentgelt i. S. von § 14 Abs. 1 SGB 4 dar und unterliegt damit der Beitragspflicht in der Sozialversicherung.
2. Für Beitragsansprüche gilt grundsätzlich die vierjährige Verjährung nach § 25 Abs. 1 S. 1 SGB 4. Ansprüche auf vorsätzlich vorenthaltene Beiträge verjähren nach S. 2 in 30 Jahren nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem sie fällig geworden sind.
3. Die vierjährige Verjährungsfrist verlängert sich durch eine rückwirkende Umwandlung in eine dreißigjährige Verjährungsfrist, wenn der Beitragsschuldner noch vor Ablauf der vierjährigen Verjährungsfrist bösgläubig wird, vgl. BSG, Urteile vom 21. Juni 1990 - B 12 RK 13/89 und vom 30. März 2000 - B 12 KR 14/99.
4. Es reicht für das Eingreifen der 30-jährigen Verjährungsfrist aus, wenn der Schuldner die Beiträge mit bedingtem Vorsatz vorenthalten hat, er also seine Beitragspflicht für möglich gehalten, die Nichtabführung der Beiträge aber billigend in Kauf genommen hat.
5. Hat der Beitragspflichtige einen Steuerberater vollumfänglich mit der Lohnabrechnung beauftragt, so muss er sich die Kenntnis des Steuerberaters nach § 166 Abs. 1 BGB zurechnen lassen.
6. Eine zwischenzeitlich durchgeführte Betriebsprüfung verschafft keinen Vertrauenstatbestand. Sie hat lediglich Kontrollfunktion. Sie bezweckt nicht, den Arbeitgeber als Beitragsschuldner zu schützen und diesem gar Entlastung zu erteilen.
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Stendal vom 14. Februar 2008 aufgehoben und die Klage abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Zahlung von Sozialversicherungsbeiträgen für die Zeit vom 1. Januar 1997 bis zum 31. Dezember 2000 sowie von Säumniszuschlägen.
Der Kläger war ab dem 1. Oktober 1990 als eingetragener Kaufmann Generalvertreter der Allianz-Versicherungsgesellschaft in G ... Zum 1. August 2010 erfolgte die Abgabe der Agentur, in welcher der Kläger u.a. seine Ehefrau beschäftigt hatte.
Die Landesversicherungsanstalt für Angestellte (LVA), deren Rechtsnachfolgerin die Beklagte ist, führte am 8. Februar 2001 für den Zeitraum vom 1. Dezember 1996 bis zum 31. Dezember 2000 beim Kläger eine Betriebsprüfung durch. In dem Prüfbescheid vom selben Tag teilte sie mit, die durchgeführte Prüfung habe keine Feststellungen ergeben. Nach den §§ 14 und 17 Viertes Buch Sozialgesetzbuch (Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung - SGB IV) i.V.m. § 1 der Verordnung über die Bestimmung des Arbeitsentgelts in der Sozialversicherung (Arbeitsentgeltverordnung - ArEV) richte sich die sozialversicherungsrechtliche Beurteilung von Arbeitsentgelt grundsätzlich nach dem Steuerrecht. Im Prüfzeitraum habe keine Lohnsteueraußenprüfung stattgefunden. Sofern bis zur nächsten Prüfung eine Prüfung der Finanzverwaltung erfolge, seien die Berichte über diese Prüfung beitragsrechtlich auszuwerten.
Anlässlich einer Selbstanzeige des Klägers vom 14. Februar 2001 wegen der Nichtentrichtung der pauschalen Lohnsteuer für bestehende Firmendirektversicherungen bis zum 31. Dezember 2000 fand am 2. April 2001 eine Lohnsteuer-Außenprüfung durch das Finanzamt G. statt. Im daraufhin erstellten Prüfbericht des Finanzamtes G. vom 9. Mai 2001 wurde u.a. mitgeteilt, im Prüfzeitraum vom 1. Januar 1997 bis zum 31. Dezember 2000 sei bisher eine Versteuerung des geldwerten Vorteils durch die private Nutzung des Firmenfahrzeugs durch die Ehefrau des Klägers nicht erfolgt. Die mit Bescheid des Finanzamtes G. vom 15. Mai 2000 (es hätte 15. Mai 2001 heißen müssen) geforderte Lohnsteuer entrichtete der Kläger nach.
Am 1. März 2005 führte die LVA eine Betriebsprüfung beim Kläger für den Zeitraum vom 1. Januar 2001 bis zum 31. Dezember 2004 durch. In dem Protokoll der Schlussbesprechung vom selben Tag wurde u.a. auf die durch das Finanzamt durchgeführte Lohnsteuer-Außenprüfung hingewiesen. Beitragsrechtliche Konsequenzen ergäben sich gegebenenfalls (nach erfolgter versicherungsrechtlicher Beurteilung) für die private Nutzung eines Firmenfahrzeuges durch die Ehefrau des Klägers.
Mit Schreiben vom 4. April 2005 hörte die LVA den Kläger dazu an, dass sich beitragsrechtliche Konsequenzen in Bezug auf die Auswertung des Lohnsteuerhaftungsbescheides vom Finanzamt vom 15. Mai 2001 ergäben. Für die Privatnutzung des Firmenfahrzeuges seien Sozialversicherungsbeiträge nachzuberechnen und zusätzlich Säumniszuschläge zu erheben. Bei dem Sachverhalt der Privatnutzung eines Firmenfahrzeuges habe der Kläger Kenntnis von seiner Zahlungspflicht gehabt, da dies bereits anlässlich des Lohnsteuerhaftungsbescheides vom 15. Mai 2001 beanstandet worden sei. Mit Schreiben vom 18. April 2005 teilte der Kläger mit, im Zuge der Lohnsteuer-Außenprüfung habe sich zwar eine weitere steuerrechtlich relevante Feststellung bezü...