Entscheidungsstichwort (Thema)

Pflicht zur Benennung eines konkreten Arbeitsplatzes trotz eines noch sechsstündigen arbeitstäglichen Leistungsvermögens

 

Orientierungssatz

1. Es besteht kein Anspruch auf Rente wegen Erwerbsminderung, wenn der Versicherte unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes noch sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann.

2. Dies gilt dann nicht, wenn der Versicherte nur noch unter betriebsunüblichen Bedingungen arbeiten kann. Reichen die gesetzlich vorgesehenen Arbeitspausen von zweimal 15 Minuten oder einmal 30 Minuten in einer mehr als sechsstündigen Arbeitsschicht für den Versicherten aus, so ist er nicht erwerbsgemindert, weil er keine betriebsunüblichen Pausen benötigt, vgl. BSG, Beschluss vom 19. Dezember 1996 - GS 2/95.

3. Trotz eines noch sechsstündigen arbeitstäglichen Leistungsvermögens ist der Versicherungsträger zur Benennung eines konkreten Arbeitsplatzes verpflichtet, wenn ein sog. Seltenheits- oder Katalogfall vorliegt. Das ist u. a. dann der Fall, wenn die Wegefähigkeit aufgehoben ist.

4. Der Antrag auf Einholung eines Gutachtens nach § 109 SGG kann vom Gericht abgelehnt werden, wenn durch die Zulassung die Erledigung des Rechtsstreits verzögert werden würde und der Antrag aus grober Fahrlässigkeit nicht früher vorgebracht worden ist.

5. Ist der von einem Anwalt vertretene Kläger vom Gericht darauf hingewiesen worden, dass weitere Ermittlungen von Amts wegen nicht beabsichtigt sind, so gilt als angemessene Frist, innerhalb welcher ein Antrag nach § 109 SGG zu stellen ist, eine solche von vier bis maximal sechs Wochen.

 

Tenor

Die Berufung wird zurückgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist die Bewilligung von Rente wegen Erwerbsminderung nach dem Sechsten Buch Sozialgesetzbuch (Gesetzliche Rentenversicherung - SGB VI) streitig.

Der am ... 1962 geborene Kläger absolvierte von Juli 1979 bis August 1981 eine Lehre zum Schuhmacher und war dann bis Oktober 1981 im erlernten Beruf tätig. Danach arbeitete er als Anlagenfahrer und Wärmekraftwerker und absolvierte von August bis Dezember 1986 eine Ausbildung zum Kesselwärter sowie von Oktober 1989 bis Juni 1991 ein Meisterstudium. Er war dann bis November 1992 als Meister im VEB E. der Stadt Z. und von November 1992 bis März 1994 als Energieberater bei der Gasversorgung L. GmbH sowie von Juni 1994 bis September 2003 als Kundenberater bei der MITGAS GmbH beschäftigt. Während der Tätigkeit als Kundenberater absolvierte er von Oktober 1995 bis Juli 1996 eine Weiterbildung zum "Kundenberater Gas" und nahm von Dezember 1999 bis August 2001 an einer Weiterbildung "Fachkaufmann für Marketing" teil. Nach der (arbeitgeberseitigen) Kündigung der Tätigkeit als Kundenberater nahm der Kläger von Dezember 2003 bis Oktober 2004 an einer Arbeitsbeschaffungsmaßnahme teil und war insoweit als Koordinator bei ASG Mücheln und im Anschluss daran von November 2004 bis Dezember 2005 wiederum als Koordinator bei GTS Krumpa beschäftigt.

Von Januar 2006 bis Januar 2008 war der Kläger arbeitslos. Vom 11. Februar bis zum 16. April 2008 war er als Kundenberater bei Randstad in H. durchschnittlich 35 Stunden wöchentlich (Montag bis Freitag je sieben Stunden) beschäftigt. Vom 19. Mai 2008 bis zum 20. März 2009 war der Kläger bei der bioenergy systems GmbH M. als Energieberater und Hilfskraft tätig. Die regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit war mit 30 Stunden vereinbart, welche an vier Werktagen der Woche zu leisten war. Der Kläger kündigte das Arbeitsverhältnis fristlos, nachdem er zwei Monate keine Gehaltszahlung erhalten hatte. Seitdem arbeitet er als Rezeptionist in der Podologie-Praxis seiner Ehefrau. Nach seinen Angaben beträgt die regelmäßige Arbeitszeit 30 Stunden pro Woche, wobei er die Termine der Podologie-Praxis verwalte und alle buchhalterischen Tätigkeiten verrichte. Er arbeite ca. zwei Stunden am Stück, habe dann ca. zwei Stunden Pause, arbeite wiederum zwei Stunden, habe anschließend wieder zwei Stunden Pause, um erneut zwei Stunden zu arbeiten. Er werde die ca. sechs Kilometer zur Arbeitsstelle in zehn Minuten mit dem Auto gefahren. Für die Tätigkeit erhalte er 750,00 EUR netto.

Beim Kläger ist seit dem 11. Juni 1998 ein Grad der Behinderung (GdB) von 50 anerkannt. Er verfügt über einen Führerschein und einen Pkw.

Am 15. Juni 2006 stellte der Kläger den dem Streitverfahren zugrundeliegenden Rentenantrag. Er leide an Morbus Bechterew und könne wegen der starken Schmerzen allenfalls leichte Bürotätigkeiten ein bis zwei Stunden verrichten und müsse danach eine Pause einlegen. Die Beklagte zog u.a. den Entlassungsbericht des Gesundheitszentrums ASTORIA-GASTEIN vom 24. Mai 2006 über den stationären Aufenthalt des Klägers vom 26. April bis zum 24. Mai 2006 bei. Dort ist als Diagnose eine Spondylitis ankylosans mit Befall beider Schultern genannt. In der sozialmedizinischen Leistungsbeurteilung werden leichte körperliche Arbeiten im Wechsel von Gehen, Stehen und Sitzen ...

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