Orientierungssatz
Parallelentscheidung zu dem Urteil des LSG Halle (Saale) vom 16.9.1998 - L 4 KR 11/97, das vollständig dokumentiert ist.
Tatbestand
Umstritten ist, ob die Beklagte dem Kläger die Kosten für die Herstellung einer autologen Tumorvakzine durch die Firma m GmbH in L in Höhe von 12.420,00 DM zu erstatten hat.
Der am 24. August 1942 geborene Kläger war bis 31. August 1995 bei der Beklagten versichert. Am 13. Dezember 1994 wurde ihm in der Urologischen Klinik des Klinikums der Stadt G von Dipl.-Med. F wegen eines Nierenkarzinoms die linke Niere entfernt. Mit am 23. Januar 1995 bei der Beklagten eingegangenem "Kostenübernahme-antrag" vom 22. Dezember 1994, den auch der Kläger unterzeichnet hat, beantragte Dipl.-Med. F die Übernahme der Herstellungskosten für die Aktiv-Spezifische-Immuntherapie (ASI) in Höhe von 10.800,00 DM zuzüglich 15 % Mehrwertsteuer. Dabei handele es sich um einen individuellen Heilversuch, bei dem die zur intrakutanen Applikation vorgesehene Autologe-Tumorvakzine aus den patienteneigenen Tumorzellen hergestellt werde. Mit der Herstellung sei die Firma m GmbH in L beauftragt worden. Der Therapieversuch sei wegen der Tumorgröße von bis zu 9 cm im Durchmesser und mit Rücksicht auf das niedrige Lebensalter des Patienten erforderlich.
Dr. H vom Medizinischen Dienst der Krankenversicherung Sachsen-Anhalt (MDK) beschrieb im Gutachten vom 20. März 1995 die Behandlung mit der autologen Tumorvakzine als ein experimentelles Therapieverfahren, dessen Nutzen und Risiken bisher nicht abschätzbar seien. Die medizinischen Voraussetzungen für eine Leistungspflicht der Krankenkasse seien daher nicht gegeben.
Mit Bescheid vom 3. April 1995 und Widerspruchsbescheid vom 21. Juni 1995 (dem Kläger nach seinen Angaben am 27. Juni 1995 zugestellt) lehnte die Beklagte den Antrag auf Kostenübernahme aus den im Gutachten von Dr. H genannten Gründen ab.
Mit der am 26. Juli 1995 bei dem Sozialgericht Halle (SG) erhobenen Klage hat der Kläger sein Begehren weiterverfolgt: Auch wenn die Behandlung mit autologer Tumorvakzine noch keine schulmedizinisch anerkannte Therapieform darstelle, dürfe nicht übersehen werden, daß sie zunehmend Anhänger finde und inzwischen an zahlreichen Kliniken in Deutschland durchgeführt werde. Es stehe fest, daß durch diese Behandlung die Lebenserwartung von Patienten erheblich verlängert werden könne. Bei dem autologen Tumorimpfstoff auf der Grundlage von Zellmaterial eines bestimmten Menschen handele es sich um einen Stoff, der zur Anwendung ausschließlich bei diesem und keinem anderen bestimmt sei. Deshalb sei eine Übertragung der Erkenntnisse über den Einzelfall hinaus nicht möglich, weil es sich bei der autologen Tumorvakzine um kein klinisch prüfbares Arzneimittel handele, auch wenn die Herstellung nach standardisierten Herstellungs- und validierten Prüfungsvorschriften erfolge.
Zur Begründung seiner Klage hat der Kläger auch auf die Stellungnahme des Fachpharmakologen Prof. Dr. Sch vom 18. Dezember 1995 hingewiesen, der die therapeutische Anwendung der autologen Tumorvakzine aufgrund des Ergebnisses der Beobachtung von 116 behandelten und 106 unbehandelten Patienten im Prüfzentrum des Städtischen Klinikums St. Georg in L als sicher bezeichnet. Der Unterschied zwischen der behandelten und der unbehandelten Patientengruppe sei statistisch hochsignifikant. Zu Recht habe das Sozialgericht Hildesheim (Urteil vom 27. September 1995, S 2 KR 63/94) entschieden, daß bei akut lebensbedrohlichen Erkrankungen ein Leistungsanspruch gegenüber der gesetzlichen Krankenkasse schon dann zuerkannt werden müsse, wenn zwar die Erprobung einer Behandlungsmethode noch nicht abgeschlossen ist, aber über Qualität und Wirkungsweise zumindest vorläufig Aussagen gemacht werden können, die für einen Behandlungserfolg sprechen und ihn wahrscheinlich erscheinen lassen.
Die Beklagte hat demgegenüber die Ansicht vertreten, daß bei der ASI-Therapie gesundheitliche Risiken, wie das Ausbilden neuer Metastasen im Körper des Patienten, nicht sicher ausgeschlossen werden könnten. Diese Therapie befinde sich weder in einer experimentellen Phase noch könne von klinischer Forschung gesprochen werden. Neue, nicht ausreichend erprobte Verfahren, lösten aber eine Leistungspflicht der Krankenkassen nicht aus.
Das SG hat einen Befundbericht vom Chefarzt der Urologischen Klinik des Klinikums G, Dr. H, eingeholt, worin dieser am 11. November 1996 u.a. angab, daß die Therapie über eine Aktivierung des Immunsystems die Vernichtung der beim Kläger wahrscheinlich vorhandenen Mikrometastasen bewirken sollte. Ferner hat das SG das fachurologische Gutachten vom 5. November 1996 von Prof. Dr. Sch von der Martin-Luther-Universität H-W beigezogen, das dieser im Verfahren des SG Halle S 2 Kr 8/95 erstattet hat. Nach dessen Feststellungen werde seit langem versucht, mit Hilfe einer Immuntherapie Krebserkrankungen unter Kontrolle zu bringen. Seit etwa 20 Jahren würde eine aktive Immunisierung (im Gegensatz zur passiven Immuntherapie) mit...