Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankenversicherung. Vorliegen der Voraussetzungen eines Vertrags zur integrierten Versorgung. Beurteilung aus Sicht des Versicherten
Leitsatz (amtlich)
Das Vorliegen der Voraussetzungen eines Vertrags zur integrierten Versorgung iSv § 140a Abs 1 Satz 1 SGB V ist vorrangig aus Sicht des Versicherten zu beurteilen. Maßgeblich ist insoweit, ob ihm bzw seinem behandelnden Vertragsarzt eine nach Wettbewerbs- oder Qualitätsgesichtspunkten zu treffende Entscheidung für oder gegen dieses Angebot im Sinne eines alternativen Versorgungsmodells aufgezeigt wird.
Nachgehend
Tenor
Das Urteil des Sozialgerichts Dessau-Roßlau vom 27. Juni 2012 wird aufgehoben und die Beklagte verurteilt, der Klägerin 18.537,94 EUR nebst 4 % Zinsen seit dem 19. Dezember 2008 zu zahlen.
Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits beider Rechtszüge.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Der Gegenstandswert wird auf 18.537,94 EUR festgesetzt.
Tatbestand
Streitig ist die Rechtmäßigkeit von im Jahr 2004 im Rahmen der Anschubfinanzierung der integrierten Versorgung nach § 140d Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch - Gesetzliche Krankenversicherung (SGB V; hier anzuwenden in der Fassung von Art. 1 Nr. 116 des GKV-Modernisierungsgesetzes [GMG] vom 14. November 2003, BGBl I, 2190) vorgenommenen Einbehalten.
Die Klägerin ist Trägerin eines nach § 108 SGB V für die Behandlung von Versicherten der gesetzlichen Krankenversicherung zugelassenen Krankenhauses, in welchem im Jahr 2004 eine Vielzahl von Versicherten der Beklagten stationär behandelt wurden.
Die Beklagte, vertreten durch die V., schloss im Februar 2004 mit dem Diakoniewerk H. (als Träger des Diakoniekrankenhauses), der Katholischen Wohltätigkeitsanstalt zur H. (KWA; als Trägerin der Klinik M.) bzw. der Diakonissenkrankenhaus D. gGmbH (als Trägerin des Diakonissenkrankenhauses) sowie jeweils der Rehabilitationseinrichtung für Orthopädie und Gynäkologie E. (Reha-Klinik) drei gleichlautende und als Verträge zur Integrierten Versorgung nach § 140a SGB V bezeichnete Vereinbarungen (Integra-H., Integra-M. bzw. Integra-D.). Die Verträge sahen u.a. vor, dass im jeweiligen Krankenhaus durch mit ihm kooperierende Ärzte Operationen durchgeführt wurden. Die Rehabilitationseinrichtung sollte für die so genannten Integra-Patienten des jeweiligen Krankenhauses Anschlussrehabilitationen einschließlich Unterkunft und Verpflegung erbringen (§ 1). Sie enthielten u.a. Regelungen über die Teilnahme von Versicherten (§ 3), die Vergütung (§ 4), den Abschluss von Verträgen mit kooperierenden Ärzten (§ 9) und die Einrichtung einer Geschäftsstelle sowie eines Koordinierungsausschusses (§§ 11, 12). Hinsichtlich der Teilnahme von Ärzten sahen die Verträge vor, dass sowohl Vertragsärzte mit in einer Anlage bezeichneten Gebietsbezeichnung als auch angestellte Ärzte des jeweiligen Krankenhauses teilnehmen konnten, wenn sie mit der Klinik einen Kooperationsvertrag geschlossen hatten (§ 9 Abs. 1 Satz 2). Dessen Abschluss war der Geschäftsstelle anzuzeigen, die den Koordinierungsausschuss hierüber informierte. Dieser hatte in begründeten Fällen das Recht, sich gegen den Abschluss von Kooperationsverträgen auszusprechen (§ 9 Abs. 2).
Mit Schreiben vom 30. April 2004 meldete die Beklagte die drei Integra-Verträge bei der Registrierungsstelle der Bundesgeschäftsstelle Qualitätssicherung gGmbH (BQS) mit jeweils geschätzten Vergütungsvolumina und hieraus abgeleiteten Abzugsquoten von 0,398 %, 0,290 % bzw. 0,342 %. Vom 1. April bis 31. Dezember 2004 nahm sie von den Krankenhausabrechnungen der Klägerin Abzüge (von jeweils 1 %) vor, die sich nach deren Aufstellung vom 23. Januar 2009 auf insgesamt 18.537,94 EUR beliefen.
Nachdem die Klägerin die Beklagte unter dem 14. November 2008 erfolglos aufgefordert hatte, die Verwendung dieser Einbehalte darzulegen und die Integrationsverträge zu übersenden, hat die Klägerin am 19. Dezember 2008 vor dem Sozialgericht (SG) Dessau-Roßlau Klage erhoben und (zunächst auch) beantragt, die Beklagte zur Vorlage der Integrationsverträge sowie zur Rückzahlung unberechtigter Einbehalte (unter dem 23. Januar 2009 beziffert) zu verurteilen. Zur Begründung hat sie die Ansicht vertreten, nicht den Voraussetzungen des § 140d SGB V entsprechende Verträge rechtfertigten keinen Einbehalt. Selbst wenn der Entscheidung des Bundessozialgerichts (BSG) vom 2. November 2010 (B 1 KR 11/10 R - SozR 4-2500 § 140d Nr. 2) ein reduzierter Prüfungsumfang zu entnehmen sei, müsse durch zulässige Vertragspartner eine interdisziplinär-fachübergreifende oder leistungssektorenübergreifende Versorgung ausgestaltet worden sein. Zudem müsse der Vertrag im Sinne einer Alternative zur Regelversorgung Leistungen enthalten, die bislang ausschließlich Gegenstand der vertragsärztlichen Versorgung gewesen seien. Schließlich müssten die für die angestrebte Versorgung notwendigen Ärzte wirksam in die Verträge einbezogen worden sein. Mit dem durch das ...