Entscheidungsstichwort (Thema)
Erwerbsunfähigkeitsrente. besondere versicherungsrechtliche Voraussetzungen. Dreifünftelbelegung. pflichtversicherter Selbständiger. Wirksamkeit von nachträglich entrichteten rückständigen Pflichtbeiträgen. Zugunstenverfahren
Leitsatz (amtlich)
1. Fällige Pflichtbeiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung können bis zur Verjährung des Anspruchs des Versicherungsträgers auf die Beitragsforderung nachentrichtet werden.
2. Nachträglich entrichtete Pflichtbeiträge liegen in dem Zeitpunkt vor, für den sie gelten sollen und haben die Wirkung von rechtzeitig gezahlten Beiträgen.
3. Hängt eine Rentengewährung von der Nachentrichtung von Pflichtbeiträgen versicherungspflichtig Beschäftigter ab, beginnt die Leistung in dem Zeitpunkt, in dem sie bei rechtzeitiger Zahlung beginnen würde.
4. Dies gilt auch bei versicherungspflichtigen Selbständigen, nicht jedoch bei freiwillig Versicherten.
5. Sind die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für eine Rente wegen Erwerbsunfähigkeit durch die nachträgliche Beitragsentrichtung erfüllt, kann ein bestandskräftiger Ablehnungsbescheid im Zugunstenverfahren mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen werden.
Nachgehend
Tenor
Das Urteil des Sozialgerichts Halle vom 07. August 2001 wird aufgehoben und der Bescheid der Beklagten vom 16. Oktober 2000 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 22. Dezember 2000 wird abgeändert.
Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger unter Aufhebung des Bescheides vom 10. Februar 1999 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 28. Juni 1999 Rente wegen Erwerbsunfähigkeit ab dem 01. Oktober 1999 nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu zahlen.
Die Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten des Klägers für beide Rechtszüge zu erstatten.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Zahlung einer Rente wegen Erwerbsunfähigkeit bereits zu einem früheren Zeitpunkt aufgrund einer nachträglichen Entrichtung von Pflichtbeiträgen.
Der am ... geborene Kläger hatte vom 01. September 1966 an erfolgreich eine Lehre als Fleischer absolviert. Bis zum 30. April 1992 war er im Ausbildungsberuf und in anderen Berufen versicherungspflichtig beschäftigt. Vom 01. Mai bis zum 20. August 1992 bezog der Kläger Arbeitslosengeld. Mit Wirkung vom 03. April 1991 wurde er in die Handwerksrolle der Handwerkskammer H/S eingetragen. Vom 21. August 1992 bis zum 31. Oktober 1996 war er selbständig tätig und betrieb die "Fleischerei ... GmbH" in H Vom 21. August 1992 bis zum 31. August 1994 entrichtete er Pflichtbeiträge als versicherungspflichtiger Handwerker gemäß § 2 Nr. 8 des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch -- Gesetzliche Rentenversicherung (SGB VI). Für die Zeit vom 01. September 1994 bis zum 31. Oktober 1996 führte der Kläger keine Beiträge mehr ab. Vom 24. März bis zum 01. Mai 1998 sind Pflichtbeiträge für eine Pflegetätigkeit vorgemerkt. Ab dem 01. Juli 1999 bezog er Leistungen des Sozialhilfeträgers. Der Kläger war arbeitsunfähig erkrankt ab dem 25. Juni 1998 wegen eines zentralen Lungenlappenkarzinoms. Seit März 2001 besteht ein Nierenzellkarzinom rechts.
Der Kläger beantragte am 02. September 1998 die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsunfähigkeit. Die Beklagte lehnte den Rentenantrag mit Bescheid vom 10. Februar 1999 ab, da die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen nicht erfüllt seien. In den letzten fünf Jahren vor dem Rentenantrag seien nur 7 Kalendermonate mit Pflichtbeiträgen belegt. Auch lägen keine lückenlosen Anwartschaftserhaltungszeiten vor. Dem Bescheid war ein Versicherungsverlauf vom 10. Februar 1999 beigefügt. Ferner enthielt er den Hinweis auf Beratungsmöglichkeiten wegen weiterer Beitragsleistungen sowie ein entsprechendes Merkblatt. Den dagegen gerichteten Widerspruch des Klägers wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 28. Juni 1999 als unbegründet zurück. Ergänzend führte sie nun aus, im maßgeblichen 5-Jahres-Zeitraum seien nur 14 Kalendermonate mit Pflichtbeitragszeiten vorhanden. Auch sei nicht jeder Kalendermonat vom 01. Januar 1984 bis zum Rentenantrag mit Anwartschaftserhaltungszeiten belegt. Nicht notwendig sei die Belegung für die Zeit vom 01. Januar bis zum 30. September 1998, da wegen des Rentenantrages eine Berechtigung zur freiwilligen Beitragszahlung bestehe. Für die Zeit vom 01. August 1994 bis zum 31. Oktober 1996 bestehe die Pflicht zur Zahlung der noch ausstehenden Pflichtbeiträge. Für die Zeit vom 01. November 1996 bis zum 31. Dezember 1997 bestehe jedoch eine Lücke, für die wegen des Fristablaufes keine freiwilligen Beiträge mehr entrichtet werden könnten. Dem Widerspruchsbescheid war ein Merkblatt mit Hinweisen zum Neuerwerb von Anwartschaften auf eine Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit beigefügt.
Dagegen erhob der Kläger am 30. Juli 1999 Klage beim Sozialgericht Halle. Während dieses Verfahrens erhielt die Beklagte am 27. Juli 1999 eine Mitteilung der Verwaltungsgemeinschaft M Grund -- H über d...