Entscheidungsstichwort (Thema)
Entschädigung für Opfer des Nationalsozialismus im Beitrittsgebiet. Hinterbliebenenpension. eheähnliche Gemeinschaft. Stichtagsregelung
Leitsatz (amtlich)
Zum Begriff der "eheähnlichen Gemeinschaft" bei einem Anspruch auf Witwenrente nach dem Entschädigungsrentengesetz (EntschRG).
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, ob die Beklagte der Klägerin eine Entschädigungsrente für Hinterbliebene nach dem Entschädigungsrentengesetz (EntschRG) zu gewähren hat.
Die ... 1934 geborene Klägerin ist die Witwe des am 16. Dezember 1920 geborenen, ... 1996 verstorbenen Herrn ... (nachfolgend Verfolgter genannt). Die Ehe der Klägerin mit dem Verfolgten bestand vom 19. Dezember 1953 bis zu dessen Tode. Dieser erhielt als Verfolgter des Naziregimes auf Grund eines Bescheides vom 20. Dezember 1968 rückwirkend ab 1. August 1968 eine Ehrenpension für Verfolgte des Faschismus. Mit Bescheid, datierend von April 1992, gewährte die Beklagte dem Verfolgten anstelle der Ehrenpension für Verfolgte des Faschismus eine Entschädigungsrente nach dem EntschRG in Höhe von 1400,-- DM monatlich.
Nach dem Ableben des Verfolgten beantragte die Klägerin am 29. Januar 1996 die Gewährung einer Entschädigungsrente für Witwen nach dem EntschRG. Sie gab an, eine eheähnliche Gemeinschaft zwischen ihr und dem Verfolgten habe seit "Oktober 1951" bestanden. Die Verlobung sei im September 1952 und die Heirat im Dezember 1953 erfolgt. Sie habe bis zu dessen Tod mit dem Verfolgten zusammen gelebt. Sie fügte eine Erklärung des Stiefbruders des Verfolgten E. G. vom 5. Juni 1996 bei. Danach habe der Verfolgte die Klägerin im Jahr 1950 kennen gelernt und sei bis zu seinem Tod mit ihr zusammen gewesen.
Mit Bescheid vom 9. Juli 1996 lehnte die Beklagte die Zahlung einer Entschädigungsrente gemäß § 2 Abs. 6 i. V. m. Abs. 2 EntschRG an die Klägerin ab. Sie legte dar, die Ehe mit dem Verfolgten sei erst nach dem 31. Dezember 1950, am 19. Dezember 1953 geschlossen worden. Vor dem 1. Januar 1951 habe zwischen ihr und dem Verfolgten auch keine eheähnliche Gemeinschaft bestanden. Diese habe nach ihren eigenen Angaben erst im Oktober 1951 begonnen.
Hiergegen legte die Klägerin mit Schreiben vom 12. August 1996 Widerspruch ein. Zur Begründung führte sie aus, ihr sei bei dem Ausfüllen des Fragebogens ein Fehler unterlaufen. Sie sei seit Oktober 1950 mit dem Verfolgten zusammen gewesen. Sie und der Verfolgte seien damals noch bei den jeweiligen Eltern gemeldet gewesen. Eine gemeinsame Wohnung habe wegen der damaligen schwierigen Wohnverhältnisse nicht realisiert werden können. Trotz ihrer Jugend sei der Verfolgte ständig bei ihr im Haus ihrer Eltern gewesen und sei dort auch von ihr versorgt worden. Der Verfolgte habe, wenn er über Nacht geblieben sei, bei ihren Eltern kein Zimmer gehabt, sondern habe im Wohnzimmer genächtigt. Der Wohnraum sei bei ihnen selbst sehr knapp gewesen. Sie selbst habe seine Wäsche gewaschen, schrankfertig gemacht auch für das leibliche Wohl gesorgt, d. h. für ihn gekocht.
Sie fügte eine Erklärung ihres Nachbarn S. W. vom 30. September 1996 bei, der bestätigte, dass sich der Verfolgte seit Oktober 1950 im Hause der Eltern der Klägerin aufgehalten habe. Er selbst sei mit dem Bruder der Klägerin befreundet gewesen. Die Klägerin habe sich immer sorgend um den Verfolgten gekümmert. Sie fügte weiterhin eine Erklärung ihrer Schwester S. K. vom 4. Oktober 1996 bei, wonach der Verfolgte ständig im Hause der Eltern verkehrt sei. Sie fügte noch eine Erklärung ihres Bruders G. S. vom 25. November 1996 bei, wonach die Klägerin ab dem 14. Lebensjahr im Falle der Abwesenheit der Eltern die Geschwister versorgt habe. Später habe sie auch ihren zukünftigen Ehemann häuslich versorgt. Dieser sei seit 1950 ins Haus gekommen. Wegen der Wohnverhältnisse habe er bei seinen Eltern übernachtet. Nach der Eheschließung hätte beide Ehepartner vier Jahre in einem Zimmer gewohnt. Sie fügte noch eine Erklärung eines ehemaligen Mitarbeiters des Rates der Stadt Jessen, Herrn O. L. vom 18. November 1996 bei, wonach die Wohnraumsituation von 1945 bis 1970 in der Stadt schlecht gewesen sei. Jung vermählten Eheleuten habe damals keine eigene Wohnung zugewiesen werden können.
Mit Widerspruchsbescheid vom 21. April 1997 wies die Beklagte den Widerspruch der Klägerin als unbegründet zurück. Sie legte dar, gemäß § 2 Abs. 6 i. V. m. Abs. 2 des EntschRG werde eine Entschädigungsrente an Witwen nur geleistet, wenn die Ehe mit dem Opfer des Nationalsozialismus vor dem 1. Januar 1951 geschlossen worden sei. Dies sei bei ihr nicht der Fall. Eine eheähnliche Gemeinschaft vor diesem Zeitpunkt sei ebenfalls nicht nachgewiesen. Vor diesem Zeitpunkt habe ihr zukünftiger Ehemann, der Verfolgte, noch bei seinen Eltern gelebt und sei in ihrem Hause lediglich zu Gast gewesen. Auch habe sie damals gerade erst das 16. Lebensjahr vollendet.
Hiergegen hat die Klägerin am 21. Mai 1997 bei dem Sozialgericht Dessau Klage erhoben. Sie trägt vor, aus dem Umstand, dass sie 1951 ...