Entscheidungsstichwort (Thema)
Schwerbehindertenrecht. Merkzeichen. Nutzung der 1. Wagenklasse der Bahn. Anspruch nur für Kriegsopfer und Verfolgte. keine analoge Anwendung auf andere schwerbehinderte Menschen
Leitsatz (amtlich)
Die Gewährung des Merkzeichens "1 Kl" kommt nur für Schwerkriegsbeschädigte und Verfolgte im Sinne des Bundesentschädigungsgesetzes (juris: BEG) in Betracht. Für eine Gleichstellung eines Schwerbehinderten, der weder Kriegsteilnehmer noch Verfolgter im Sinne des Bundesentschädigungsgesetzes war, mit diesem Personenkreis fehlt eine Rechtsgrundlage. Eine analoge Anwendung kommt mangels planwidriger Gesetzeslücke ebenfalls nicht in Betracht.
Normenkette
SGB IX § 69 Abs. 4, § 70; SchwbAV § 3 Abs. 1 Nr. 6; VersMedV § 2 Anl.; BEG § 1
Tenor
Die Berufung wird zurückgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist das Vorliegen der Voraussetzungen für das Merkzeichen "1. Kl." (Berechtigung zur Benutzung der 1. Wagenklasse mit Fahrausweis für die 2. Klasse) umstritten.
Auf Antrag des 1965 geborenen Klägers stellte der Beklagte mit Bescheid vom 24. November 2010 einen Grad der Behinderung (GdB) von 70 aufgrund des Verlustes des rechten Beines im Oberschenkel bei arterieller Verschlusskrankheit sowie das Merkzeichen "G" (erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr) fest. Mit Bescheid vom 30. Mai 2012 stellte der Beklagte ab 1. März 2012 einen GdB von 80 sowie die Merkzeichen "B" (Berechtigung für eine ständige Begleitung) und "aG" (außergewöhnliche Gehbehinderung) aufgrund des Verlustes des rechten Beines im Oberschenkel, einer Funktionsbeeinträchtigung des linken Beines und einer psychischen Störung fest.
Am 17. Dezember 2013 beantragte der Kläger das Merkzeichen "1. Kl.". Mit Bescheid vom 2. Januar 2014 lehnte der Beklagte den Antrag ab, weil die Benutzung der 1. Klasse mit einem Fahrausweis der 2. Klasse bei Eisenbahnfahrten nur für Schwerkriegsbeschädigte und Verfolgte im Sinne des Bundesentschädigungsgesetzes mit einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von wenigstens 70 vom Hundert (vH) nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) in Betracht komme, deren auf den anerkannten Schädigungsfolgen beruhender körperlicher Zustand die Unterbringung in der 1. Klasse erfordere. Diese Voraussetzungen lägen beim Kläger nicht vor. Dagegen erhob der Kläger am 8. Januar 2014 Widerspruch und begründete diesen mit einer Verschlechterung seines gesundheitlichen Zustandes. Mit Widerspruchsbescheid vom 19. Mai 2014 wies der Beklagte den Widerspruch zurück, weil der Kläger nicht zum Personenkreis der Schwerkriegsbeschädigten und Verfolgten im Sinne des Bundesentschädigungsgesetzes gehöre.
Dagegen hat der Kläger am 6. Juni 2014 Klage beim Sozialgericht (SG) Dessau-Roßlau erhoben und vorgetragen: Er sei oberschenkelamputiert und könne in der 2. Klasse im Zug wegen der Enge nicht bzw. nicht lange sitzen. Zudem bestehe in der 2. Klasse keine Pflicht, Schwerbehindertenplätze frei zu halten. Er sei deshalb einem Schwerkriegsbeschädigten gleichzustellen. Der Beklagte hat dagegen eingewandt, die Regelung sei abschließend, eine Gleichstellung sei nicht möglich. Die Einholung weiterer medizinischer Unterlagen sei nicht erforderlich, da dies zu keiner anderen Entscheidung führen könne. Mit Schreiben vom 24. Juli 2014 hat das SG nach Hinweis auf die fehlenden Erfolgsaussichten der Klage die Beteiligten zu einer Entscheidung durch Gerichtsbescheid gemäß § 105 Abs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) angehört. Mit Gerichtsbescheid vom 21. August 2014 hat das SG die Klage abgewiesen und zur Begründung darauf verwiesen, dass die nach § 70 des Neunten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB IX) i. V. m. § 3 Abs. 1 Nr. 6 der Schwerbehindertenausweisverordnung maßgeblichen Tarifbestimmungen vorsehen, dass lediglich Schwerkriegsbeschädigte die 1. Wagenklasse mit Fahrscheinen der 2. Klasse benutzen dürfen (Beförderungsbedingungen für besondere Personengruppen der Deutschen Bahn AG Nr. 600/D vom 11. Dezember 2011, Nr. 2.4). Der Kläger sei kein Kriegsbeschädigter. Für die von ihm begehrte Gleichstellung bestehe keine Rechtsgrundlage. Auf die Beurteilung, inwieweit seine gesundheitlichen Einschränkungen eine Unterbringung in der 1. Wagenklasse erforderten, komme es daher nicht an.
Gegen den ihm am 27. August 2014 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 18. September 2014 Berufung beim Landessozialgericht (LSG) Sachsen-Anhalt eingelegt und vorgetragen: Er begehre weiterhin die Benutzung der 1. Wagenklasse mit Fahrausweis für die 2. Wagenklasse, da die Züge der Deutschen Bahn meistens voll besetzt seien und niemand einen Behindertenplatz frei machen müsse. Ggf. müsse er einem Schwerkriegsbeschädigten gleichgestellt werden, da er nicht in der Lage sei, länger als fünf Minuten zu stehen.
Der Kläger beantragt sinngemäß nach seinem schriftlichen Vorbringen,
den Gerichtsbescheid des SG Dessau-Roßlau vom 21. August 2014 sowie den Bescheid des Beklagten vom 2. Januar ...