Entscheidungsstichwort (Thema)
Grundsicherung für Arbeitsuchende. Rücknahme eines rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsakts. Änderung einer abschließenden Entscheidung nach vorläufiger Bewilligung. Anrechnung eines monatlichen Durchschnittseinkommens. monatsübergreifende Saldierung. Vertrauensschutz. Treu und Glauben
Leitsatz (amtlich)
1. Wird eine abschließende Leistungsfestsetzung nach § 41a Abs 3 SGB II, in deren Anschluss eine Saldierung nach § 41a Abs 6 SGB II vorgenommen worden ist, nachträglich geändert, kommen die vertrauensschützenden Regeln des § 45 SGB X nicht zur Anwendung, wenn die Änderung zwar zu geringeren Leistungen für einzelne Monate, insgesamt aber zu einem höheren Leistungsbetrag für den gesamten Bewilligungszeitraum führt. Dies gilt jedenfalls dann, wenn die Änderung darauf beruht, dass das erzielte Einkommen erstmals als Durchschnittseinkommen iS von § 41a Abs 4 SGB II aF angerechnet worden ist.
2. Würde man dieser Auffassung nicht folgen und die teilweise Leistungsaufhebung für einzelne Monate an § 45 SGB X messen, wäre eine Berufung des Betroffenen auf Vertrauensschutz rechtsmissbräuchlich, wenn er gleichzeitig die auf derselben Durchschnittsberechnung beruhende Erhöhung des Leistungsanspruchs für andere Monate geltend macht.
3. Nach der Änderung der abschließenden Festsetzung ist erneut eine Saldierung iS von § 41a Abs 6 SGB II vorzunehmen. Dabei sind auch die Leistungen zu berücksichtigen, die aufgrund der ursprünglichen abschließenden Festsetzung erbracht worden sind.
Nachgehend
Tenor
Die Berufung wird zurückgewiesen.
Für den zweiten Rechtszug sind keine Kosten zu erstatten.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Kläger begehren noch die Auszahlung weiterer Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch - Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II) in Höhe von insgesamt 251,71 Euro für die Monate April und Mai 2016 sowie die Aufhebung eines Änderungsbescheides vom 8. November 2019, soweit er die Monate Juni bis September 2016 betrifft. Ursprünglich war zwischen den Beteiligten die abschließende Festsetzung der zunächst vorläufig bewilligten Leistungen für den Zeitraum April bis September 2016 streitig.Die Kläger zu 1) und 2) sind die Eltern der am ... 2010 geborenen Klägerin zu 3). Die Kläger bezogen als Bedarfsgemeinschaft Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts vom Beklagten.
Mit Bescheid vom 15. März 2016 bewilligte er ihnen für die Zeit von April bis September 2016 vorläufig Leistungen. Im Bescheid hieß es, die Vorläufigkeit beruhe auf der Angabe der Kläger, dass sich die Einkünfte vorübergehend ändern würden.
Im Einzelnen bewilligte der Beklagte den Klägern vorläufig Leistungen in folgender Höhe:
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April 2016 |
Kläger zu 1) |
48,25 Euro |
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Klägerin zu 2) |
48,24 Euro |
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Klägerin zu 3) |
17,70 Euro |
insgesamt |
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114,19 Euro |
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Mai 2016 |
Kläger zu 1) |
52,82 Euro |
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Klägerin zu 2) |
52,82 Euro |
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Klägerin zu 3) |
19,62 Euro |
insgesamt |
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125,26 Euro |
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Juni 2016 |
Kläger zu 1) |
48,25 Euro |
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Klägerin zu 2) |
48,24 Euro |
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Klägerin zu 3) |
17,70 Euro |
insgesamt |
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114,19 Euro |
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Juli 2016 |
Kläger zu 1) |
48,25 Euro |
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Klägerin zu 2) |
48,24 Euro |
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Klägerin zu 3) |
17,70 Euro |
insgesamt |
|
114,19 Euro |
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August 2016 |
Kläger zu 1) |
60,98 Euro |
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Klägerin zu 2) |
60,97 Euro |
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Klägerin zu 3) |
25,31 Euro |
insgesamt |
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147,26 Euro |
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September 2016 |
Kläger zu 1) |
60,51 Euro |
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Klägerin zu 2) |
60,51 Euro |
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Klägerin zu 3) |
26,17 Euro |
insgesamt |
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147,19 Euro. |
Gegen diesen Bescheid legten die Kläger am 19. April 2016 Widerspruch ein. Während des Widerspruchsverfahrens setzte der Beklagte nach Vorlage aller Einkommensnachweise die Leistungen mit Festsetzungsbescheid vom 9. Mai 2017 endgültig fest. Er ging bei seiner Berechnung davon aus, dass unter Anrechnung des tatsächlich zugeflossenen Einkommens sowie zweier auf sechs Monate aufgeteilter Einmalzahlungen (einer Jahressonderzahlung mit Zufluss im November 2015 und einer Leistungsprämie „LOB“ mit Zufluss im Februar 2016 in Höhe von 105,36 Euro netto) im April 2016 kein Leistungsanspruch bestehe. Daher setzte er auch für die übrigen Monate gemäß § 41a Abs. 4 S. 2 Nr. 2 SGB II in der Fassung vom 26. Juli 2016 (im Folgenden: a.F.) die Leistungen unter Anrechnung des tatsächlichen Einkommens ohne Bildung eines monatlichen Durchschnittseinkommens fest. Das zugeflossene Erwerbseinkommen der Klägerin zu 2) schwankte in den einzelnen Monaten zwischen 1.142,66 Euro und 1.465,11 Euro.
Im Einzelnen bewilligte der Beklagte den Klägern Leistungen in folgender Höhe:
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April 2016 |
Kläger zu 1) |
0,00 Euro |
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Klägerin zu 2) |
0,00 Euro |
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Klägerin zu 3) |
0,00 Euro |
insgesamt |
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0,00 Euro |
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Mai 2016 |
Kläger zu 1) |
20,29 Euro |
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Klägerin zu 2) |
20,28 Euro |
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Klägerin zu 3) |
7,54 Euro |
insgesamt |
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48,11 Euro |
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Juni 2016 |
Kläger zu 1) |
96,08 Euro |
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Klägerin zu 2) |
96,07 Euro |
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Klägerin zu 3) |
35,25 Euro |
insgesamt |
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227,40 Euro |
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Juli 2016 |
Kläger zu 1) |
105,66 Euro |
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Klägerin zu 2) |
105,65 Euro |
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Klägerin zu 3) |
38,76 Euro |
insgesamt |
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250,07 Euro |
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August 2016 |
Kläger zu 1) |
124,51 Euro |
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Klägerin zu 2) |
124,51 Euro |
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Klägerin zu 3) |
51,68 Euro |
insg... |