Entscheidungsstichwort (Thema)

Grundsicherung für Arbeitsuchende. Eingliederungsverwaltungsakt. Geltungszeitraum

 

Leitsatz (amtlich)

1. An die eine Eingliederungsvereinbarung ersetzenden Regelungen in einem Eingliederungsverwaltungsakt gemäß § 15 Abs 3 S 3 SGB II sind dieselben Maßstäbe anzulegen, wie sie für eine konsensuale Eingliederungsvereinbarung gelten (vgl BSG vom 23.6.2016 - B 14 AS 42/15 R = BSGE 121, 268 = SozR 4-4200 § 15 Nr 6).

2. Nach Maßgabe des seit 1.8.2016 geltenden § 15 Abs 3 SGB II ist es rechtlich nicht zu beanstanden, wenn der Geltungszeitraum in Anpassung an die jeweilige Eingliederungssituation und Integrationsstrategie oder Lebenslage durch den Leistungsträger flexibel geregelt wird. Daher kann in einem eine Eingliederungsvereinbarung ersetzenden Verwaltungsakt auch dessen Geltung "bis auf weiteres" und damit ein unbefristeter Geltungszeitraum bestimmt werden (vgl BSG vom 21.3.2019 - B 14 AS 28/18 R = SozR 4-4200 § 15 Nr 7).

3. Wird ein Geltungszeitraum "bis auf weiteres" bestimmt, muss dies von hinreichenden Ermessenserwägungen getragen sein, die in dem die Eingliederungsvereinbarung ersetzenden Bescheid niederzulegen sind. Enthält der angegriffene Bescheid keine Ermessenserwägungen des Leistungsträgers und ist zudem nicht erkennbar, dass dieser überhaupt erkannt hat, dass er bei der Bestimmung von Geltungsdauer und Fortschreibungsbedingungen Ermessen auszuüben hatte, ist der ersetzende Verwaltungsakt rechtswidrig.

 

Tenor

Das Urteil des Sozialgerichts Dessau-Roßlau vom 9. Juni 2022 und der Bescheid des Beklagten vom 14. Januar 2021 sowie der Widerspruchsbescheid vom 17. Februar 2021 werden aufgehoben.

Der Beklagte hat der Klägerin die notwendigen außergerichtlichen Kosten für das Klage- und das Berufungsverfahren zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Klägerin und Berufungsklägerin (im Weiteren: Klägerin) wendet sich gegen ein Urteil des Sozialgerichts Dessau-Roßlau (SG), das ihre Klage gegen eine Eingliederungsvereinbarung mittels Verwaltungsakt des Beklagten und Berufungsbeklagten (im Weiteren: Beklagter) abgewiesen hat.

Die 1960 geborene Klägerin bezieht gemeinsam mit ihrem Ehemann, der seit 2021 eine befristete Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bezieht, als Bedarfsgemeinschaft von dem Beklagten ergänzende Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II).

Am 14. Januar 2021 erließ der Beklagte für die Klägerin einen Eingliederungsverwaltungsakt, der vom 14. Januar 2021 „bis auf weiteres“ gültig sein solle. Mit diesem Bescheid werde die Eingliederungsvereinbarung vom 13. April 2017 fortgeschrieben. Zur Begründung führte der Beklagte aus, der Abschluss einer Eingliederungsvereinbarung sei nicht zustande gekommen. Die Klägerin habe sich in früheren Gesprächen geweigert, eine Eingliederungsvereinbarung abzuschließen. Zudem sei sie persönlich und telefonisch nicht zu erreichen. Daher sei der Erlass eines ersetzenden Verwaltungsakts erforderlich geworden. Mit dem Eingliederungsverwaltungsakt wurde die Klägerin u.a. verpflichtet, jeden Monat mindestens zwei Bewerbungsbemühungen um sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse zu unternehmen und hierüber Nachweise vorzulegen. Der Beklagte verpflichtete sich im Gegenzug, eine Bewerbungskostenpauschale von 3 € pro Bewerbung bis zu einem Jahresbetrag von 150 € auf Antrag zu übernehmen. Die Festlegungen im Bescheid sollten „für die oben angegebene Zeitspanne“ gelten, „soweit zwischenzeitlich nichts anderes geregelt“ werde.

In einem am selben Tag verfassten Vermerk legte die Mitarbeiterin des Beklagten nieder, aufgrund fehlender Kontaktmöglichkeiten (kein Telefon, Meldeversäumnis am 16. September 2020) sei die Klägerin mit Schreiben vom 26. November 2020 aufgefordert worden, ihre Eigenbemühungen nachzuweisen. Darauf habe sie nicht reagiert. Bereits in der Eingliederungsvereinbarung mittels Verwaltungsakt vom 13. April 2017 sei festgelegt worden, dass sie mindestens ein bis zwei Bewerbungsbemühungen pro Monat um sozialversicherungspflichtige oder auch geringfügige Beschäftigungsverhältnisse unternehmen und nachweisen solle. Die Klägerin habe jedoch seither keine Eigenbemühungen belegt. Im Beratungsgespräch am 3. Dezember 2019 habe sie pauschal erklärt, entsprechende Aktivitäten unternommen zu haben, diese jedoch weder konkret benannt noch nachgewiesen. Sie sei darüber in mehreren Beratungsgesprächen 2018 und 2019 belehrt worden.

Im dagegen eingelegten Widerspruch vom 21. Januar 2021 führte die Klägerin aus, sie gelte gemäß § 53a Abs. 2 SGB II nicht mehr als arbeitslos. Daher könne es keine Eingliederungsvereinbarung geben. Mit der vorgegebenen Bewerbungskostenpauschale könnten die Aufwendungen für Bewerbungen nicht finanziert werden. Sie fordere die Zahlung der noch ausstehenden Kosten aus vorangegangenen Bewerbungsbemühungen. Aufgrund der Bewilligung von unzureichenden SGB II-Leistungen durch den Beklagten sei sie nicht in der Lage, Bewerbungen vorzufinanzieren.

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