Entscheidungsstichwort (Thema)

Grundsicherung für Arbeitsuchende. endgültige Entscheidung nach vorläufiger Leistungsbewilligung. Fiktion der endgültigen Festsetzung 1 Jahr nach Ablauf des Bewilligungszeitraums. Fiktion der Erwerbsfähigkeit nach § 44a SGB 2. Leistungsausschluss bei Unterbringung in stationärer Einrichtung. Haftunterbrechung durch Krankenhausaufenthalt. Anwendung der Rückausnahme nach § 7 Abs 4 S 3 Nr 1 SGB 2

 

Leitsatz (amtlich)

1. Die Fiktionswirkung einer endgültigen Festsetzung der Leistungen gem § 41a Abs 5 S 1 iVm § 80 Abs 2 Nr 1 SGB II greift dann nicht ein, wenn die leistungsberechtigte Person innerhalb der Jahresfrist nach Ablauf des Bewilligungszeitraumes bereits im Klageverfahren einen Anspruch auf endgültige Leistungsbewilligung geltend gemacht hat.

2. Der SGB II-Träger ist in der Regel bis zur Feststellung einer Erwerbsunfähigkeit für die Leistungserbringung zuständig (§ 44a Abs 1 S 7 SGB II), weil das Vorliegen der Erwerbsfähigkeit als Leistungsvoraussetzung fingiert wird.

3. Dauert die voraussichtliche Unterbringung in einem Krankenhaus (nach Haftunterbrechung) prognostisch weniger als sechs Monate, ist es bei der Prüfung der Rückausnahme des Leistungsausschlusses gem § 7 Abs 4 S 3 Nr 1 SGB II unbeachtlich, ob vorher oder nachher eine anderweitige Unterbringung in einer Justizvollzugsanstalt vorlag bzw vorgesehen war.

 

Nachgehend

BSG (Beschluss vom 22.05.2020; Aktenzeichen B 4 AS 27/20 B)

 

Tenor

1. Die Berufung des Beklagten wird zurückgewiesen.

2. Der Beklagte hat dem Kläger seine notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

3. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die endgültige Festsetzung von Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch - Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II) für den Zeitraum vom 18. Juli bis zum 17. September 2012.

Der im Jahr 1963 geborene Kläger bezog bis zu seiner Inhaftierung in der Justizvollzugsanstalt H. (JVA) im März 2012 Leistungen nach dem SGB II. Aufgrund einer Erkrankung wurde die Inhaftierung gem. § 455 Abs. 4 Strafprozessordnung (StPO) für die Dauer einer stationären Behandlung im Psychiatriezentrum H. im Zeitraum vom 18. Juli 2012 bis zum 18. September 2012 unterbrochen. Am 19. Juli 2012 beantragte der Kläger über die Sozialarbeiterin des Psychiatriezentrums beim Beklagten Leistungen nach dem SGB II. In diesem Antrag hatte er angekreuzt, dass er gesundheitlich in der Lage sei, eine Tätigkeit von mindestens drei Stunden täglich auszuüben. Mit Bescheid vom 1. August 2012 lehnte der Beklagte den Antrag ab und führte zur Begründung im Wesentlichen aus, die Haftunterbrechung sei kein anspruchsbegründendes Ereignis, da der Kläger im Anschluss nahtlos wieder in die Vollzugsanstalt übergehen und dies voraussichtlich länger als sechs Monate andauere. Ein eventueller Leistungsanspruch für die Zeit der Haftunterbrechung müsse über das zuständige Sozialamt geklärt werden.

Dagegen erhob der Kläger mit Schreiben vom 7. August 2012 Widerspruch. Gleichzeitig teilte die Sozialarbeiterin des Psychiatriezentrums dem Beklagten mit, dass neben dem Widerspruch auch eine Antragstellung beim Sozialamt H. erfolge.

Mit Bescheid vom 23. Juli 2012 lehnte die Beigeladene die Übernahme der Krankenhauskosten und Leistungen nach § 19 Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch - Sozialhilfe (SGB XII) ab. Ein Nachweis über eine dauerhafte Erwerbsunfähigkeit im Sinne des § 7 SGB II liege nicht vor, so dass ein vorrangiger Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II bestehe. Gegen diesen Bescheid hat der Kläger am 7. August 2012 Widerspruch eingelegt.

Mit Widerspruchsbescheid vom 16. August 2012 wies der Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Die Voraussetzungen des § 7 Abs. 4 Satz 3 Nr. 2 SGB II lägen nicht vor, da der Kläger während seiner Inhaftierung nicht unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens 15 Stunden wöchentlich erwerbstätig gewesen sei. Die Voraussetzungen von § 7 Abs. 4 Satz 3 Nr. 1 SGB II seien ebenfalls nicht gegeben, weil die Einweisung in das Krankenhaus vorliegend nicht aufgrund richterlicher Anordnung, sondern durch die Staatsanwaltschaft als Vollstreckungsbehörde unterbrochen worden sei.

Der Kläger hatte unter dem 16. August 2012 Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung beim Sozialgericht Halle (SG) gestellt. Das einstweilige Rechtsschutzverfahren endete dadurch, dass der Beklagte mit Bescheid vom 24. August 2012 vorläufig Leistungen i.H.v. 174,53 EUR für den Zeitraum vom 18. bis 31. Juli 2012 sowie i.H.v. 374 EUR für den Zeitraum vom 1. August 2012 bis 31. Januar 2013 gewährte. Die Bewilligung erfolge nach § 43 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Erstes Buch - Allgemeiner Teil (SGB I) vorerst vorläufig.

Am 20. August 2012 hat der Kläger vor dem SG Klage erhoben, ursprünglich mit dem Antrag, den Bescheid vom 1. August 2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. August 2012 aufzuheben und dem Kläger Leistungen nach dem SGB II vorläufig am 18. Juli 2012 in gesetzlich vorgesehener Höhe zu bewil...

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