Entscheidungsstichwort (Thema)
Voraussetzung für die Berücksichtigung fiktiver Pflichtbeitragszeiten nach § 119 Abs 3 S 1 SGB 10. fehlende tatsächliche Beitragszahlung. sozialrechtlicher Herstellungsanspruch. zulässige Amtshandlung
Leitsatz (amtlich)
1. Voraussetzung für die Berücksichtigung fiktiver Pflichtbeitragszeiten auf der gesetzlichen Grundlage des § 119 Abs 3 S 1 SGB X ist, dass insoweit Beiträge tatsächlich geleistet wurden. Die Beweislast hierfür trägt die Klägerin.
2. Für den Umstand der Beitragsentrichtung kann nach Auffassung des Senats die Zahlung von Beiträgen zur Rentenversicherung nicht über einen Herstellungsanspruch ersetzt werden, denn deren Fehlen könnte nicht durch eine zulässige Amtshandlung beseitigt werden.
Orientierungssatz
1. Zum Leitsatz 1 vgl LSG Stuttgart vom 30.1.2014 - L 7 R 4417/11 = juris RdNr 30, LSG Mainz vom 11.1.2012 - L 4 R 266/11 = juris RdNr 31 sowie LSG Essen vom 17.6.2005 - L 13 RA 44/04 = juris RdNr 29.
2. Zum Leitsatz 2 vgl LSG Stuttgart vom 30.1.2014 - L 7 R 4417/11 = juris RdNr 33 sowie vom 27.3.2015 - L 10 R 2689/12 = juris RdNr 30, LSG Berlin-Potsdam vom 19.8.2020 - L 16 R 655/18 = juris RdNr 31 und LSG Essen vom 17.1.2023 - L 2 R 189/19.
Tenor
Die Berufung wird zurückgewiesen.
Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Klägerin begehrt die Gewährung einer höheren Regelaltersrente unter Berücksichtigung höherer persönlicher Entgeltpunkte im Hinblick auf Beitragszeiten nach den §§ 63 ff. Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (Gesetzliche Rentenversicherung - SGB VI).
Die am ... 1953 geborene Klägerin absolvierte nach ihrem 10.-Klasse-Schulabschluss vom 1. September 1970 bis zum 31. Januar 1972 eine Ausbildung zur Bekleidungsfacharbeiterin und war nachfolgend in diesem Beruf bis zur Geburt ihrer ersten Tochter (17. September 1973) tätig. Ab März 1978 war sie zunächst als Helferin in einem Kindergarten tätig, qualifizierte sich im Juli 1983 zur Erziehungshelferin für Kindergärten und absolvierte am 13. Juni 1990 die erforderliche Schulung zur Kindergärtnerin (später als Beruf der Erzieherin anerkannt). Sie arbeitete als Kindergärtnerin, bis sie am 5. März 1992 arbeitsunfähig erkrankte. In der Folgezeit ging die Klägerin aufgrund ihrer gesundheitlichen Einschränkungen keiner Erwerbstätigkeit mehr nach.
Die Klägerin befand sich wegen Unterleibsbeschwerden und eines weiteren Kinderwunschs seit 1986 in ärztlicher Behandlung. Nach Unterbauchbeschwerden wurde sie am 3. September 1992 in das Kreiskrankenhaus N. eingewiesen. Am 4. September 1992 wurde bei ihr wegen einer Endometriose (Schokoladenzyste) ein operativer Eingriff vorgenommen, bei dem ihr die Gebärmutter und beide Eierstöcke nebst Eileiter vollständig entfernt wurden. Nachfolgend entwickelte die Klägerin eine psychische Störung (Entwicklung Konversionsneurose durch Zerstörung Kinderwunsch und Störung Hormonhaushalt).
Auf den Rentenantrag der Klägerin gewährte ihr die Beklagte ausgehend von einem Leistungsfall am 5. März 1992 ab dem 31. März 1994 zunächst fortlaufend befristet Rente wegen Erwerbsunfähigkeit bei Verschlossenheit des Arbeitsmarkts (Bescheide vom 27. Juni 1996, 4. November 1999, 11. Januar 2001, 11. November 2003 und 10. November 2006). Mit Bescheiden von 17. und 24. September 2008 und 6. Oktober 2008 stellte die Beklagte die Rente für die Zeit von April 1998 bis März 2007 von Amts wegen unter Beachtung der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG, Urteil vom 24. Oktober 1996, 4 RA 31/96 zur Neubestimmung der Rentenhöhe bei Weiterzahlung einer befristeten Erwerbsunfähigkeitsrente) neu fest. Mit Bescheid vom 10. Oktober 2008 gewährte die Beklagte der Klägerin weiterhin Rente wegen Erwerbsunfähigkeit bei Verschlossenheit des Arbeitsmarkts befristet bis zum 31. März 2010. Mit Bescheid vom 3. November 2009 gewährte die Beklagte der Klägerin nunmehr Rente wegen Erwerbsunfähigkeit auf Dauer ab dem 1. April 2010 aufgrund eines aufgehobenen Leistungsvermögens durch einen erlittenen Hirninfarkt.
In dem von der Klägerin wegen der vollständigen Entfernung der Gebärmutter und beider Anhänge durchgeführten Arzthaftungsprozess vor dem Landgericht München einigte sie sich mit dem verklagten Klinikum am 20. Dezember 2004 im Rahmen eines gerichtlichen Vergleichs auf den Erhalt einer pauschalen Zahlung von 225.000 € zur Abgeltung sämtlicher persönlichen Ansprüche wie Schmerzensgeld, Aufwendungsersatz und Verdienstausfall „ohne Anerkennung einer Rechtspflicht“.
Die Beklagte machte gegenüber dem Haftpflichtversicherer des Klinikums, der A. Versicherungs AG (im Folgenden: A.), im Regressverfahren Ansprüche auf Beitragsausfall nach § 119 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - SGB X) sowie auf Schadenersatz aufgrund von Heilbehandlung und Gewährung von Rente wegen Erwerbsunfähigkeit einschließlich der Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung nach § 116 SGB X geltend. Aufgrund mehrerer Regressforderungsabrechnungen zahlte ...