Entscheidungsstichwort (Thema)

Krankenversicherung. Krankenhausbehandlung. Prüfung durch den MDK. Aufwandspauschale. Auslegung des Begriffs "Minderung des Abrechnungsbetrages" iS von § 275 Abs 1c S 3 SGB 5

 

Leitsatz (amtlich)

1. Bei der Auslegung des § 275 Abs 1c S 3 SGB 5 können über den reinen Wortlaut der Norm hinaus im Einzelfall auch wertende Gesichtspunkte berücksichtigt werden. Dazu zählen das Missbrauchs- und Bagatellprinzip (vgl BSG vom 17.12.2009 - B 3 KR 12/08 R = SozR 4-2500 § 109 Nr 20) sowie der Veranlassungsgedanke (BSG vom 22.6.2010 - B 1 KR 1/10 R = SozR 4-2500 § 275 Nr 3).

2. Ein Verstoß gegen das Bagatellprinzip liegt vor, wenn eine MDK-Prüfung zur Erforderlichkeit der Verweildauer bei einer auf 1.810,01 € lautenden Krankenhausrechnung zu einer Kürzung um 5,62 € führt. Bei dieser Sachlage hat die Krankenkasse trotz Rechnungskürzung die Aufwandspauschale gemäß § 275 Abs 1c S 3 SGB 5 zu zahlen.

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 19.09.2013; Aktenzeichen B 3 KR 5/13 R)

 

Tenor

Das Urteil des Sozialgerichts Halle vom 22. Juni 2011 wird aufgehoben und die Beklagte verurteilt, an die Klägerin 100,00 EUR nebst 4 % Zinsen seit dem 30. März 2009 zu zahlen.

Die Beklagte hat die Kosten des Verfahrens für beide Instanzen zu tragen.

Die Revision wird zugelassen.

Der Streitwert wird auf 100,00 EUR festgesetzt.

 

Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Klägerin die Aufwandspauschale in Höhe von 100,00 EUR gemäß § 275 Abs. 1c Satz 3 des Fünften Buch des Sozialgesetzbuchs - Gesetzliche Krankenversicherung (SGB V) zusteht.

Nach einer Verordnung der Ärztin für Allgemeinmedizin O. vom 12. September 2008 wurde die am ... 1993 geborene und bei der Beklagten versicherte T. (im Folgenden: Versicherte) wegen einer Daumengrundgliedluxation mit Instabilität noch am selben Tag stationär bei der Klägerin aufgenommen. Nach Entlassung der Versicherten am 15. September 2008 stellte die Klägerin am 17. September 2008 insgesamt 1.810,01 EUR in Rechnung. Unter der Bezeichnung "Eingriffe am Handgelenk und Hand ohne mehrseitigen Eingriff, ohne komplexen Eingriff, außer bei angeborener Anomalie der Hand, mit mäßig komplexem Eingriff, Alter ) 5 Jahre" rechnete sie neben weiteren Positionen die DRG 7010 I 32 E in Höhe von 1.717,67 EUR ab. Die Rechnung enthielt unter der Bezeichnung "Investitionszuschlag neue Länder § 14 Abs. 8" einen Posten von 16,86 EUR (3 x 5,62 EUR).

Mit Schreiben vom 9. Oktober 2008 zeigte die Beklagte gegenüber der Klägerin an, sie beabsichtigte, den Behandlungsfall überprüfen zu lassen. Anschließend legte sie dem Medizinischen Dienst der Krankenkassen Sachsen-Anhalt (MDK) die Frage "Ist die gesamte Verweildauer medizinisch begründet?" vor. Die MDK Gutachterin Dr. G. hat, nachdem die Klägerin ihr auf Aufforderung weitere medizinische Unterlagen übersandt hatte, am 13. November 2008 eine Stellungnahme abgegeben. Hiernach sei wegen des mitgeteilten unkomplizierten Verlaufs der zweite postoperative Tag nach Entfernung der Drainage nicht nachvollziehbar. Die Voraussetzungen des § 39 SGB V seien daher nur für den Zeitraum vom 12. bis zum 14. September 2008 gegeben.

Mit Rechnung vom 9. März 2009 verlangte die Klägerin von der Beklagten die Zahlung einer Aufwandspauschale in Höhe von 100,00 EUR wegen erfolgloser MDK-Prüfung. Die Beklagte hält sich dazu für nicht verpflichtet und forderte ihrerseits von der Klägerin mit Schreiben vom 31. März 2009 die Rückzahlung von 5,62 EUR (Investitionszuschlag neue Länder für den 15. September 2008). Am 29. April 2009 kürzte die Beklagte eine unstreitige Rechnung der Klägerin um diesen Betrag.

§ 7 der zwischen den Beteiligten vereinbarten Entgeltregelung lautet:

"Die Krankenkasse hat die Rechnung innerhalb von 21 Tagen nach Eingang zu zahlen. Als Tag der Zahlung gilt der Tag der Übergabe des Überweisungsauftrages an ein Geldinstitut oder der Übersendung von Zahlungsmitteln an das Krankenhaus. Ist der Fälligkeitstag ein Samstag, Sonntag oder gesetzlicher Feiertag, so verschiebt er sich auf den nächstfolgenden Arbeitstag.

Erfolgt die Zahlung nicht innerhalb von 21 Tagen, kann das Krankenhaus Zinsen in Höhe von 4 % seit dem Fälligkeitstag verlangen, ohne dass es einer Mahnung bedarf."

Die Klägerin hat am 22. Juli 2010 Klage beim Sozialgericht Halle (SG) mit dem Begehren erhoben, die Beklagte zu verurteilen, an sie 100,00 EUR nebst Zinsen in Höhe von 4 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 30. März 2009 zu zahlen und zur Begründung vorgetragen: Die Beklagte sei zur Zahlung der Aufwandspauschale ausnahmsweise verpflichtet. Die Kürzung der Rechnung in Höhe des Investitionszuschlages für einen Tag hindere die Klägerin nicht daran, die sog. Aufwandspauschale nach § 275 Abs.1 c SGB V zu verlangen. Der Investitionszuschlag sei nicht Bestandteil des Abrechnungsbetrages und die Kürzung keine Minderung des Abrechnungsbetrages im Sinne des § 275 Abs. 1 c SGB V, da es dort im Wesentlichen um die sachlich zutreffende Berechnung der jeweiligen DRG und nicht um den Investitionszuschla...

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