Entscheidungsstichwort (Thema)
Angelegenheiten nach dem SGB II (AS). Zum Anspruch auf Mehrbedarf für kostenaufwändige Ernährung
Leitsatz (redaktionell)
1. Die bis zum 30.06.2010 geltende gesetzliche Regelung über Regelleistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts Arbeitsuchender war für die vorherige Zeit trotz Feststellung ihrer Verfassungswidrigkeit durch das Bundesverfassungsgericht weiter anzuwenden.
2. Reduktionskost mit dem Ziel der Reduzierung des Körpergewichts begründet keinen Anspruch auf eine Diätzulage zur Grundsicherung für Arbeitslose.
3. Die Bewilligung von Mehrbedarf für eine kostenaufwändige Ernährung steht nicht im Ermessen des Leistungsträgers.
4. Die Empfehlungen des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge e.V. für die Gewährung von Krankenkostzulagen sind im Gerichtsverfahren nicht als antizipierte Sachverständigengutachten, wohl aber als Orientierungshilfe verwertbar.
5. Ein nach dem Gesetz nicht zustehender Anspruch schließt auch einen auf unzureichende Beratung gestützten Herstellungsanspruch aus.
6. Nach Übertragung von Aufgaben der Grundsicherung für Arbeitslose auf Landkreise übernehmen diese auch laufende Gerichtsverfahren für die ursprünglich beklagten Leistungsträger.
Normenkette
SGB II § 21 Abs. 5, § 20 Abs. 2 Fassung: 2004-07-30, § 24 Fassung: 2006-07-20 Abs. 1, § 24 Fassung: 2006-07-20 Abs. 2, § 9 Abs. 1 Nr. 2, § 76 Abs. 3 S. 1; SGB I § 14; SGG § 70 Nr. 3, § 144 Abs. 1 S. 1 Nr. 1; Verordnung zur Änderung der Kommunalträger-Zulassungsverordnung
Tenor
Die Berufung wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Bewilligung von Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch - Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II) für die Zeit vom 8. März bis 28. September 2005.
Die am ... 1947 geborene Klägerin zu 1. und der am ... 1943 geborene Kläger zu 2. sind miteinander verheiratet. Sie bewohnen ein in ihrem Eigentum stehendes Eigenheim.
Die Klägerin zu 1. bezog bis zum 12. Januar 2005 Arbeitslosengeld nach dem Dritten Buch Sozialgesetzbuch - Arbeitsförderung (SGB III) i.H.v. 21,19 EUR/Tag. Der Kläger zu 2. war bis 4. Februar 2005 versicherungspflichtig beschäftigt. Er war seit 23. Dezember 2004 arbeitsunfähig erkrankt und erhielt zuletzt am 7. März 2005 einen Bruttolohn von 1.029,01 EUR (netto 814,99 EUR). Am 11. März 2005 erhielt er Krankengeld i.H.v. 445,06 EUR für den Zeitraum vom 23. Februar bis 8. März 2005. Ab dem 9. März 2005 bezog er Arbeitslosengeld i.H.v. 902,10 EUR/Monat. Für eine Kfz-Haftpflichtversicherung waren 9,67 EUR/Monat aufzuwenden.
In dem ersten Antrag auf Leistungen nach dem SGB II hatten die Kläger keine Leistungen für besondere Mehrbedarfe geltend gemacht. Der Antrag war mit Bescheid des Beklagten vom 17. Dezember 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 15. September 2005 bestandskräftig abgelehnt worden.
Am 8. März 2005 beantragten die Kläger erneut die Bewilligung von Leistungen nach dem SGB II. Zu Leistungen für besondere Mehrbedarfe machten sie wiederum keine Angaben. Der Beklagte lehnte mit Bescheid vom 8. April 2005 erneut eine Leistungsbewilligung mangels Hilfebedürftigkeit ab. Der Gesamtbedarf für März 2005 betrage 613,49 EUR. Das Gesamteinkommen des Klägers zu 2. i.H.v. insgesamt 1.193,65 EUR (um die Freibeträge bereinigtes Netto-Erwerbseinkommen (470,25 EUR), Arbeitslosengeld (691,61 EUR) und Krankengeld (31,79 EUR)) übersteige den Gesamtbedarf.
In ihrem dagegen gerichteten Widerspruch machten die Kläger geltend, der Bescheid sei nicht hinreichend bestimmt.
Der Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 15. September 2009 als unbegründet zurück. Der Gesamtbedarf für April 2005 betrage 818,86 EUR (Regelleistungen 2 x 298 EUR und KdU 222,86 EUR (je 1/12 der jährlichen Betriebskosten von 777,20 EUR sowie Erhaltungsaufwand 481,18 EUR)). Als Einkommen sei das um die Versicherungspauschale und die Kfz-Haftpflichtversicherungsprämie bereinigte Arbeitslosengeld des Klägers zu 2. i.H.v. 861,71 EUR zu berücksichtigen. Dieses übersteige den Bedarf um 42,85 EUR.
Ihrem weiteren Antrag vom 29. September 2005 fügten die Kläger ärztliche Bescheinigungen zur Anerkennung eines Mehrbedarfs für kostenaufwändige Ernährung der Dr. P. vom 26. September 2005 bei. Danach lagen bei der Klägerin zu 1. ab 1. Januar 2005 eine Hyperlipidämie und Hypertonie sowie bei dem Kläger zu 2. eine Hyperlipidämie bei Adipositas, eine Hyperurikämie/Gicht und eine Hypertonie bei Adipositas vor. Daraufhin bewilligte der Beklagte mit Bescheid vom 3. November 2005 Leistungen vom 29. September 2005 bis 31. März 2006 und berücksichtigte einen monatlichen Mehrbedarf i.H.v. 35,79 EUR und 30,68 EUR für kostenaufwändige Ernährung sowie einen befristeten Zuschlag i.H.v. 320 EUR/Monat.
Gegen die Ablehnung ihres Antrags vom 8. März 2005 haben die Kläger am 19. Oktober 2005 Klage beim Sozialgericht Magdeburg erhoben. Sie haben die Verfassungswidrigkeit der Regelleistungen gerügt...