Entscheidungsstichwort (Thema)

Grundsicherung für Arbeitsuchende. Einkommensberücksichtigung. Einnahmen in Geld oder Geldeswert. Überlassung eines Dienstwagens durch den Arbeitgeber auch zur privaten Nutzung durch den Arbeitnehmer. steuerrechtlicher geldwerter Vorteil. keine geldwerte Einnahme iS § 11 SGB 2. fehlender Marktwert. keine Minderung des pauschalierten Regelbedarfs. Arbeitslosengeld II. Verkehrswert. Tatsächlicher Zufluss. Ersparte Aufwendungen. Aufhebungsbescheid. Anhörungsmangel. Verschulden. Bedarfsgemeinschaft. Auslegung des Klageantrags

 

Leitsatz (amtlich)

1. Eine Einkommensanrechnung nach § 11 Abs 1 S 1 SGB II iVm § 2 Abs 6 S 1 Alg II-V aF (juris: AlgIIV 2008) setzt voraus, dass es sich um Einkünfte aus einer Erwerbstätigkeit handelt und diese tauschbar sind, dh einen Geldwert haben. Einnahmen ohne Verkehrs- oder Marktwert - wie die unentgeltliche private Nutzungsmöglichkeit eines Dienst-Pkw - sind daher nicht als Einkommen anzurechnen.

2. Die steuerrechtliche Bewertung der privaten Nutzung von Firmen- oder Dienstwagen ist in das Grundsicherungssystem des SGB II nicht übertragbar.

3. Der Vorteil des unentgeltlichen Privatgebrauchs eines Dienstwagens kann auch nicht unter dem Aspekt ersparter Aufwendungen des Leistungsberechtigten bedarfs- und damit regelsatzmindernd angerechnet werden, da der pauschalierte Regelsatz nach § 20 SGB II nicht abweichend bestimmt werden kann.

 

Normenkette

SGB II § 11 Abs. 1 S. 1, § 7 Abs. 1; Alg-II-VO § 2 Abs. 6; EStG § 6 Abs. 1 Nr. 4, § 8 Abs. 2 S. 2; SGB X §§ 45, 48 Abs. 1 S. 2 Nr. 3, §§ 24, 41 Abs. 1 Nr. 3; SGG § 123

 

Nachgehend

BSG (Beschluss vom 19.07.2017; Aktenzeichen B 14 AS 15/16 R)

 

Tenor

Die Berufungen werden zurückgewiesen.

Der Beklagte hat den Klägern die notwendigen außergerichtlichen Kosten auch für das Berufungsverfahren zu erstatten.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Der Beklagte und Berufungskläger (nachfolgend Beklagter) wendet sich gegen drei Urteile des Sozialgerichts Dessau-Roßlau (SG), mit denen zwei an die Kläger und Berufungsbeklagten (nachfolgend Kläger) gerichtete Aufhebungs- und Erstattungsbescheide für den Zeitraum von September 2009 bis Januar 2010 aufgehoben und der Beklagte darüber hinaus verurteilt worden ist, den Klägern höhere Leistungen für den Monat Januar 2010 zu bewilligen.

Der ... 1972 geborene Kläger lebte seinerzeit zusammen mit seiner ... 1981 geborenen Lebensgefährtin und der ... 2007 geborenen Tochter in einer Mietwohnung in W. Die Wohnung hatte eine Wohnfläche von 64,90 qm und wurde mit Gas beheizt. Warmwasser wurde dezentral mit Strom erzeugt. Für diese Wohnung war im streitbefangenen Zeitraum eine Gesamtmiete von 435 € (Kaltmiete 279 €, Stellplatz 15 € und Nebenkostenvorauszahlung 141 €) zu zahlen (ohne Stellplatz 420 €). Mit Schreiben vom 8. Oktober 2009 rechnete der Vermieter die Betriebskosten für das Jahr 2008 ab. Danach war eine Nachzahlung in Höhe von 181,46 € zu zahlen.

Die Kläger bezogen von dem Beklagten ergänzende Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II).

Der Kläger erzielte zunächst Einkommen aus einer nichtselbständigen Beschäftigung bei der Autogascentrum A. D. GmbH. und vom 1. bis 16. Januar 2009 Arbeitslosengeld (Alg) iHv monatlich 814,20 €. Die Klägerin zu 2) war von August 2008 bis August 2009 bei der Fortbildungsakademie der Wirtschaft in D. beschäftigt. Das jeweils am Monatsende fällige, geringfügig schwankende Gehalt betrug im Juni 2009 1.668,45 € brutto (1.162,06 € netto) und im Juli 2009 1.660 € brutto (1.162,78 € netto). Für die Klägerin zu 3) wurde Kindergeld von 164 € im Jahr 2009 und 184 € ab Januar 2010 gezahlt.

Der Beklagte bewilligte der dreiköpfigen Bedarfsgemeinschaft auf den ersten Leistungsantrag vom 27. Januar 2009 mit Bescheid vom 6. Februar 2009 Leistungen nach dem SGB II für den Zeitraum ab 1. Februar 2009 und gewährte dem Kläger dabei einen Zuschlag von 335 € monatlich. Mit bestandskräftigem Bescheid vom 5. August 2009 bewilligte der Beklagte auf den Leistungsantrag vom 28. Juli 2009 (endgültige) SGB II-Leistungen für den Zeitraum von August bis Dezember 2009 in Höhe von monatlich insgesamt 611,67€ und 533,67 € für Januar 2010. Hiervon entfielen auf den Kläger 114,57 € sowie ein Zuschlag nach § 24 SGB II in Höhe von 335 €, auf die Klägerin zu 2) zu 114,56 € und auf die Klägerin zu 3) 47,54 €. Im Januar 2010 verringerte sich der Zuschlag auf 257 €. Bei der Berechnung ging der Beklagte von einem Gesamtbedarf der Bedarfsgemeinschaft in Höhe von 1.286,81 € aus, bestehend aus der Regelleistung von je 323 € für den Kläger und die Klägerin zu 2), Sozialgeld von 215 € für die Klägerin zu 3) sowie Kosten der Unterkunft und Heizung (KdU) von 425,81 €. Hiervon zog er das Kindergeld sowie ein Erwerbseinkommen der Klägerin zu 2) von geschätzten 1.200 € netto (bereinigt auf 846,14 €) ab.

Zum 1. September 2009 nahm der Kläger eine selbständige Tätigkeit im Bereich Hausverwaltung und Hausmeisterservice auf, aus der er letztlich im streitigen Zeitr...

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