Entscheidungsstichwort (Thema)
Schwerbehindertenrecht. GdB-Festsetzung. Diabetes mellitus. Teilhabe. Teilhabebeeinträchtigung. Therapieaufwand. Insulininjektionen. Insulinpumpe. gravierende Einschnitte in der Lebensführung. Wertung. Neufeststellung
Leitsatz (amtlich)
1. Nach der Neufassung der Versorgungsmedizinischen Grundsätze zum Diabetes mellitus erfordert die Feststellung eines GdB von 50 mehr als mindestens vier Insulininjektionen pro Tag und ein selbständiges Anpassen der jeweiligen Insulindosis. Zusätzlich muss es durch den konkreten Therapieaufwand, die jeweilige Stoffwechselqualität oder wegen sonstiger Auswirkungen der Erkrankung (zB Folgeerkrankungen) zu einer gravierenden Beeinträchtigung in der Lebensführung des Betroffenen kommen.
2. Der Wortlaut der Versorgungsmedizinischen Grundsätze "und durch erhebliche Einschnitte gravierend in der Lebensführung beeinträchtigt sind" (Teil B Nr 15.1) ist nicht nur therapiebezogen zu verstehen, auch wenn der nachfolgende Satz ("erleiden auf Grund dieses Therapieaufwands eine ausgeprägte Teilhabebeeinträchtigung") ein derartiges Verständnis nahe legt.
3. Diese engere Auslegung ist nach dem Wortlaut und der Systematik der Versorgungsmedizinischen Grundsätze geboten. Auch vermeidet sie kaum vertretbare Wertungswidersprüche im Vergleich zu den Teilhabebeeinträchtigungen bei anderen Erkrankungen anderer Funktionssysteme, für die ein GdB von 50 vergeben werden kann.
Normenkette
SGB IX § 2 Abs. 1 S. 1, § 69 Abs. 1, 3; BVG § 30 Abs. 1, 17; VersMedV § 2; SGB X § 48
Nachgehend
Tenor
Die Berufung wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist die Höhe des Grades der Behinderung (GdB) im Sinne des Neunten Buches Sozialgesetzbuch - Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen (SGB IX) umstritten.
Der Beklagte stellte bei dem 1972 geborenen Kläger mit Bescheid vom 4. Dezember 1998 einen GdB von 40 wegen einer Diabetes mellitus-Erkrankung fest.
Der Kläger beantragte am 19. November 2004 zum wiederholten Mal die Feststellung eines höheren GdB und die Ausstellung eines Schwerbehindertenausweises, da er jetzt auch unter einer beginnenden diabetischen Nephropathie, einer arteriellen Hypertonie, einer Spritzenphobie sowie rezidivierenden wöchentlichen Hypoglykämien leide. Der Beklagte holte Befundberichte der behandelnden Ärzte ein. Der Facharzt für Allgemeinmedizin Dipl.-Med. M. teilte in seinem Befundbericht vom 27. Dezember 2004 mit, der Kläger befinde sich in gutem Allgemein- und Ernährungszustand. Der allgemeinklinische Status sei unauffällig. Der Blutzuckerwert liege bei 6,8mmol/l am Tag und in der Nacht bei 3,9mmol/l. Der Blutdruck liege bei 130/80mmHg, die Herzfrequenz sei mit 68/min rhythmisch. Es werde eine intensivierte konventionelle Insulintherapie durchgeführt. Der Arzt hat einen Bericht des Kreiskrankenhauses W. vom 12. Januar 2004 beigefügt, in dem sich der Kläger vom 10. bis 17. Dezember 2003 einer stationären Behandlung unterzogen hatte. Darin wird von einem entgleisten Diabetes mellitus Typ I, einer beginnenden diabetischen Nephropathie, einer milden arteriellen Hypertonie sowie einer Spritzenphobie berichtet. Im Verlauf der stationären Behandlung sei der Kläger auf eine intensivierte konventionelle Insulintherapie eingestellt worden. Unter dieser Therapie seien durchweg Blutzuckerwerte zwischen 3,8 und 11,3mmol/l erreicht worden. Hypoglykämien hätten unter stationären Bedingungen nicht mehr nachgewiesen werden können. In einem weiteren von dem Beklagten eingeholten Befundbericht des Dipl.-Med. M. vom 1. Mai 2005 teilte dieser ergänzend mit, die Langzeitblutdruckmessung sei unter Therapie ohne Befund gewesen. Hypertone Folgeerkrankungen seien ihm bisher nicht bekannt. Der Blutzuckerwert liege zwischen 3,2 und 6,4mmol/l. Beigefügt war ein ärztlicher Kurzbrief der Klinik B. S. vom 22. Februar 2005. Hiernach erfolgte bei dem Kläger seit dem 3. Februar 2005 eine Insulinpumpentherapie. Unter Therapie habe der Blutzuckerwert vor der Hauptmahlzeit bei 5-6mmol/l, eine halbe Stunde danach bei größer 8mmol/l und spät abends unter 6mmol/l gelegen. Nach dem ebenfalls beigefügten Rehabilitationsentlassungsbericht der Fachklinik B. in S. vom 25. Februar 2005, in der sich der Kläger auf Veranlassung der Bundesknappschaft vom 1. bis zum 22. Februar 2005 einer stationären Rehabilitationsmaßnahme unterzogen hatte, wird ein Diabetes mellitus Typ I seit 1980 mit beginnender Nephropathie diagnostiziert. Seit dem 3. Februar 2005 werde eine Insulinpumpen-Therapie (CSII) durchgeführt. Der Kläger befinde sich in gutem Allgemeinzustand und adipösem Ernährungszustand. Der Puls sei regelmäßig. Es seien keine Hypästhesie (Verminderung der Berührungs- und Drucksensibilität der Haut), keine Hypalgesie (verminderte Schmerzwahrnehmung) sowie eine normale Vibrationssensibilität an den Füßen festgestellt worden. Wegen des insulinbedürftigen Diabetes...