Entscheidungsstichwort (Thema)
Altersrente wegen Arbeitslosigkeit oder nach Altersteilzeit. Rentenminderung. Vertrauensschutzregelung. Beschäftigung in der Montanindustrie. Entscheidung durch Gerichtsbescheid
Leitsatz (amtlich)
Versicherte, die nachweisen können, aus einem Betrieb der Montanindustrie aufgrund von Betriebs(teil)stilllegungen ausgeschieden zu sein, fallen unter die Vertrauensschutzregelung des § 237 Abs 4 S 1 Nr 2 SGB 6, auch wenn sie nicht auf sog Ursprungslisten geführt worden sind.
Orientierungssatz
1. Nach Auffassung des Senats ist die Anerkennung als Beihilfeberechtigter und die Registrierung in Ursprungslisten des Arbeitsamtes nicht Vorraussetzung für die Inanspruchnahme des Vertrauensschutzes nach § 237 Abs 4 S 1 Nr 2 SGB 6 iVm Art 56 § 2 Buchst b S 1 EGKSVtr. Es ist unschädlich, wenn im Anschluss an ein Ausscheiden aus einem Betrieb der Montanindustrie keine Beihilfen gewährt wurden und auch keine Einzelvereinbarung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer bezüglich eines Ausscheidens auf Grund einer Maßnahme nach Art 56 § 2 Buchst b EGKSVtr vorliegt.
2. Entscheidet ein Gericht durch Gerichtsbescheid, obwohl die dafür in § 105 Abs 1 S 1 SGG vorgeschriebenen Voraussetzungen nicht vorliegen, so liegt ein Verstoß gegen den Grundsatz des gerichtlichen Richters iS von Art 101 Abs 1 S 2 GG vor (vgl BSG vom 16.3.2006 - B 4 RA 59/04 R = SozR 4-1500 § 105 Nr 1).
Nachgehend
Tenor
Der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Magdeburg vom 13. Januar 2006 wird aufgehoben und der Bescheid der Beklagten vom 11. Februar 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. April 2005 in der Fassung des Bescheides vom 12. Mai 2005 wird abgeändert. Die Beklagte wird verurteilt, bei der Berechnung der Altersrente des Klägers den Zugangsfaktor 1,0 zugrunde zu legen.
Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten des Klägers für beide Rechtszüge.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist umstritten, ob der Kläger Anspruch auf Bewilligung von Altersrente wegen Arbeitslosigkeit ohne Abschläge hat.
Der am geborene Kläger - von Beruf Walzwerker - war vom 1. September 1958 bis zum 30. Juni 1991 bei der Eisen- und Hüttenwerke (EHW) T. AG beschäftigt. Das Kündigungsschreiben vom 19. März 1991 lautete u.a. wie folgt: “… aufgrund der Ihnen bereits bekannten Entscheidung zur Einstellung der Produktion im Bereich des Block- und Blechwalzwerkes sehen wir uns gezwungen, das mit Ihnen bestehende Arbeitsverhältnis hiermit ordentlich und fristgerecht zum 30.06.1991 zu kündigen. … Bei Wirksamwerden der Kündigung haben Sie Anspruch auf Leistungen aus dem Sozialplan, mit denen ein Ausgleich der Ihnen wegen der bestehenden Arbeitsmarktsituation möglicherweise entstehenden sozialen Härten angestrebt wird„. Ferner enthielt die Kündigung folgenden Passus: “…Weitere Sozialplanleistungen werden zwischen dem Betriebsrat und dem Vorstand vereinbart. Diese Vereinbarung kann zur Zeit nur unter dem Vorbehalt erfolgen, dass die von der Unternehmensleitung vorgesehenen zusätzlichen Finanzierungsmittel seitens der Treuhandanstalt im Rahmen der Eröffnungsbilanz bestätigt werden. Der Vorbehalt gilt auch für Sozialplanleistungen, die aus dem EGKS-Fonds der Europäischen Gemeinschaft finanziert werden„. Vom 1. Juli bis 7. Dezember 1991 war der Kläger arbeitslos und bezog zunächst Leistungen der Bundesagentur für Arbeit. Er erhielt ferner nach seinem Ausscheiden von der EHW T. AG eine einmalige betriebliche Beihilfe in Höhe von 5000 DM sowie einen Zuschuss von Juli bis November 1991 in Höhe von monatlich 300 DM und für Dezember 1991 in Höhe von 68 DM.
Mit Bescheid vom 11. Februar 2005 bewilligte die Beklagte dem Kläger Altersrente wegen Arbeitslosigkeit ab dem 1. März 2005. In der Anlage 6 des Rentenbescheides ist der Zugangsfaktor mit 1,0, vermindert um 0,003 für jeden Monat der vorzeitigen Inanspruchnahme, d.h. für 44 Kalendermonate um 0,132 und damit mit 0,868, festgestellt worden.
Dagegen erhob der Kläger Widerspruch mit der Begründung, es gelte für ihn die Vertrauensschutzregelung für aus einem Betrieb der Montanindustrie ausgeschiedene Beschäftigte . Er legte eine Bescheinigung des Leiters der Personalwirtschaft der EHW T. AG, des Zeugen D., vom 6. August 1998 vor, wonach er - der Kläger - vom 1. September 1958 bis 30. Juni 1991 in der EHW T. AG beschäftigt gewesen sei. Die EHW T. AG sei ein Betrieb, der von einer Maßnahme im Sinne des Artikel 56 § 2 Buchst. b des Vertrages über die Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS-V) betroffen gewesen sei. Die Maßnahme für diesen Betrieb sei am 31. Mai 1991 genehmigt worden.
Auf Anfrage der Beklagten teilte die Agentur für Arbeit Halberstadt im März 2005 mit, entsprechend der Ermächtigung des Bundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung (BMA) sei die Ursprungsliste durch das betroffene Montanunionsvertrags-Unternehmen (MUV-Unternehmen) erstellt worden. Auch die Aufnahme der betroffenen Arbeitn...