Entscheidungsstichwort (Thema)

Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit aus der gesetzlichen Rentenversicherung. Grundsatz des offenen Arbeitsmarktes

 

Leitsatz (amtlich)

Bei der Prüfung eines Anspruchs auf Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit ist weiterhin von dem Grundsatz des offenen Arbeitsmarktes auszugehen, sodass Versicherte, die nur noch körperlich leichte und geistig einfache Tätigkeiten - ggf unter weiteren gesundheitlichen Einschränkungen - wenigstens sechs Stunden täglich verrichten können, regelmäßig in der Lage sind, "erwerbstätig zu sein" (vgl BSG vom 11.12.2019 - B 13 R 7/18 R = BSGE 129, 274 = SozR 4-2600 § 43 Nr 22, RdNr 26 ff).

 

Tenor

Das Urteil des Sozialgerichts Dessau-Roßlau vom 31. Januar 2019 wird aufgehoben und die Klage abgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Der Rechtsstreit betrifft die Frage, ob der Kläger einen Anspruch auf Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit nach dem Sechsten Buch Sozialgesetzbuch (Gesetzliche Rentenversicherung - SGB VI) hat.

Der am ... 1961 geborene Kläger absolvierte nach seinem Neunte-Klasse-Schulabschluss von 1978 bis 1981 eine abgeschlossene Ausbildung zum Hafenfacharbeiter. 1982 nahm er erfolgreich an einer Qualifizierung zum Rangierleiter teil. Anschließend war er bis 1988 als Rangierleiter bei der Deutschen Reichsbahn tätig. Es folgte eine Tätigkeit als Staplerfahrer in einer Gewächshausanlage. 1989 erwarb der Kläger den Lkw-Führerschein und war anschließend von 1990 bis 2009 als Lkw-Kraftfahrer im Fernverkehr tätig. Nach einem Herzinfarkt im Jahre 2009 wurde das Beschäftigungsverhältnis als Fernfahrer mit Zustimmung des Integrationsamtes M. gekündigt.

Vom 4. bis zum 25. August 2009 nahm der Kläger an einer stationären Anschlussheilbehandlung in der Rehabilitationsklinik E.-S. GmbH in B. teil. In dem Entlassungsbericht vom 27. August 2009 sind folgende Diagnosen genannt:

Arteriosklerostische Herzkrankheit: Drei-Gefäßerkrankung, Erstdiagnose Juni 2009, ACVB-Operation 30. Juni 2009, AICD 15. Juli 2009.

Ischämische Kardiomyopathie, Ejektionsfraktion (EF) 20 %.

Arterielle Hypertonie.

Gemischte Hyperlipidämie.

Nikotinabusus.

Aufgrund der kardialen Situation könne der Kläger sowohl als Berufskraftfahrer als auch auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nur noch unter drei Stunden täglich arbeiten.

Der Kläger bezog im Anschluss vom 1. September 2009 bis zum 31. Mai 2015 eine Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Zeit, die zuletzt 798,51 € (brutto) bzw. 714,27 € (netto) betrug. Von Juli 2011 bis November 2012 verrichtete er eine geringfügige, nicht versicherungspflichtige Beschäftigung, bei der er von Montag bis Freitag jeweils vier Stunden Kleinteile für Kinderfahrräder zusammensetzte. Vom 1. Mai bis zum 26. August 2019 weist der Versicherungsverlauf des Klägers eine Beitragszeit mit Pflichtbeiträgen für eine Pflegetätigkeit aus. Hierzu hat der Kläger in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat erklärt, er habe sich mit seiner Frau ca. zehn Jahre ca. zwei bis drei Stunden am Tag um die Nachbarin gekümmert, wobei er Fahrdienste geleistet habe. Es seien nur so wenige Pflegezeiten im Versicherungsverlauf eingetragen, weil die Nachbarin die Pflege nicht der Krankenkasse gemeldet habe. Deshalb habe er diese Pflegetätigkeit dann auch beendet.

Auf den Weitergewährungsantrag des Klägers vom 7. Januar 2015 zog die Beklagte zunächst einen Befundbericht des behandelnden Facharztes für Allgemeinmedizin Dipl.-Med. K. vom 23. Januar 2015 bei. Dieser führte aus, der Kläger habe zurzeit keine größeren Beschwerden. Die Hauptbehandlung finde allerdings beim Kardiologen statt. Bei ihm - dem Hausarzt - sei er nur sporadisch. Beigefügt war ein Bericht des Facharztes für Innere Medizin mit dem Tätigkeitsschwerpunkt Kardiologie und Akupunktur Dr. M. vom 8. Februar 2015. Die dortige farbcodierte Duplex-Echokardiografie ergab u.a. eine EF von 41 %.

Die Beklagte veranlasste schließlich ein internistisches Fachgutachten durch den Facharzt für Innere Medizin/Kardiologie Dr. W.. Dieser untersuchte den Kläger am 23. März 2015 und stellte in seinem Gutachten vom 2. April 2015 folgende Diagnosen:

Koronare Drei-Gefäßerkrankung, Zustand nach vierfacher Bypassoperation (LIMA zum LAD, ACVB zu Ramus diagonalis, ACVB zum RIVP und ACVB zum Ramus marginalis) Juni 2009.

Ischämische Kardiomyopathie, Zustand nach Zwei-Kammer ICD-Implantation Juli 2009 mit derzeit mäßiggradig reduzierter linksventrikulärer Funktion.

Arterielle Hypertonie.

COPD.

Zustand nach Bänderriss-Operation des Kniegelenkes rechts sowie auch Operation eines Kapselrisses des Kniegelenks links.

Degenerative Wirbelsäulenveränderungen.

Zustand nach Magenhernienoperation.

Im Vordergrund stehe beim Kläger die schwere koronare Drei-Gefäßerkrankung mit der ischämischen Herzdilatation und dem Zustand nach Zwei-Kammer-ICD-Implantation. Nach vollständiger Revaskularisierung der koronaren Drei-Gefäßerkrankung durch die vierfache Bypass-Operation und unter der jetzigen Medikation sei es zu einer ...

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