Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialgerichtliches Verfahren. Feststellungsklage. Feststellungsinteresse. gesetzliche Unfallversicherung. Arbeitsunfall. weitere Unfallfolge. Gesundheitserstschaden. Knorpelschaden des Knies. haftungsbegründende Kausalität. Wahrscheinlichkeit. Unfallhergang. Knieverdrehung
Leitsatz (amtlich)
1. Zur Zulässigkeit einer Feststellungsklage nach § 55 Abs 1 Nr 3 SGG .
2. Zur Herleitung eines Erstschadens aus der Gesamtheit der Erstbefunde.
Tenor
Das Urteil des Sozialgerichts Dessau-Roßlau vom 3. Mai 2021 wird aufgehoben.
Der Bescheid der Beklagten vom 19. August 2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 1. Dezember 2016 wird hinsichtlich der Ablehnung weiterer Schäden und Folgen des Arbeitsunfalls vom 21. September 2007 und daraus folgender Leistungen aufgehoben.
Der Knorpelschaden an der linken inneren Oberschenkelrolle wird als Erstschaden dieses Unfalls und eine beginnende Gonarthrose links mit einem ventralen Osteophyten am medialen Femurkondylus und einer tiefen Läsion der medialen Gelenkfacette der Patella als dessen Folge festgestellt.
Die Beklagte hat dem Kläger seine notwendigen außergerichtlichen Kosten für beide Rechtszüge und das Vorverfahren zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, ob beim Kläger weitere Folgen eines Arbeitsunfalls vom 21. September 2007 vorliegen.
Nach der Unfallanzeige seiner Arbeitgeberin verdrehte sich der damals 33-jährige Kläger beim Heraussteigen aus einem Kabelschacht sein linkes Kniegelenk. Dazu gab der Kläger am 4. November 2007 auf einem Fragebogen der (Rechtsvorgängerin der - nachfolgend einheitlich -) Beklagten an, er habe sich mit dem Knie am harten Schachtrand aufgekniet, sei dort abgerutscht und habe sich das Knie verdreht. Dabei seien Schmerzen aufgetreten.
Nach dem Bericht der Klinik für Unfallchirurgie des Gesundheitszentrums B./W. gGmbH, Chefarzt Dr. K., über die Erstbehandlung vom 24. September 2007 gab der Kläger Schmerzen am inneren Knie bei Streckung und Beugung an und wies ein positives Innenmeniskuszeichen auf. Die daraus abgeleitete Diagnose lautete Innenmeniskusriss links.
Am 27. September 2007 führten die Ärzte eine Arthroskopie durch. Der Innenmeniskus war unauffällig. Am inneren Oberschenkelgelenkknochen (Femurkondylus) fanden sie ein ca. 2 x 2 cm großes Knorpelulkus innerhalb der Belastungszone als Chondropathie Stadium III bis IV. Die gelockerten Knorpelareale wurden entfernt. Dabei fand sich am Grund des Ulkus frei liegender Knochen. Das Ulkus wurde geglättet. Die Diagnose lautete auf Distorsion des linken Kniegelenkes bzw. bei einer Verordnung von Krankenbeförderung am 23. Oktober 2007 auf die ICD-10-GM-Diagnose S83.3L - akuter Riss des Kniegelenksknorpels - im Abschnitt Luxation, Verstauchung und Zerrung des Kniegelenkes und von Bändern des Kniegelenkes.
Am 8. November 2007 führten die Ärzte eine Magnetresonanztomographie durch. Im Condylus femoris medialis fand sich ein erhöhtes Signal, das die subchondrale Knochenmarkslamelle einschloss und die Umgebung des Innenbandes erreichte. Ventral der Hauptbelastungszone fehlte die Knorpelbedeckung. An der inneren Kniekehle fand sich eine große Ausstülpung. Es zeigte sich ein Kniegelenkserguss mit Fremdmaterialeinschlüssen möglichen Knorpels beidseitig der Kniescheibe und in der oberhalb davon liegenden Vertiefung.
Dr. K. schätzte den Kläger vom 24. November 2007 an als arbeitsfähig und eine Behandlung als nicht mehr erforderlich ein.
Am 26. November 2007 teilte Dr. H. über die erstmalige Behandlung des Klägers am gleichen Tag in seiner Praxis mit, am linken Knie bestehe ein diskretes Lachmannsches Zeichen in Form zweitgradiger Instabilität innen in der Streckung. Er stellte die Diagnose einer Schwäche des hinteren Schrägbandes. Zu einer von ihm vorgeschlagenen weiteren Arthroskopie kam es nicht.
Der Beratungsarzt Dr. S. beurteilte in seiner Stellungnahme vom 11. Dezember 2007 das Ulkus als unfallunabhängig. Den jüngsten Befund von Dr. H. hielt er im Rahmen einer Heilverfahrenskontrolle für klärungsbedürftig.
Mit Schreiben vom 12. Dezember 2007 erkannte die Beklagte das Ereignis vom 21. September 2007 „vorbehaltlich einer Entscheidung des Rentenausschusses“ als Arbeitsunfall an. Sie bat den Kläger, sich wegen ggf. weiterer Beschwerden in einer berufsgenossenschaftlichen Unfallklinik vorzustellen.
Neue Vorgänge finden sich danach für über acht Jahre nicht. Am 20. Juni 2016 begab der Kläger sich wegen seit Wochen zunehmender Schmerzen unter Belastung des linken Knies in Behandlung des Chirurgen Dr. A. Dieser erhob einen Druckschmerz über dem medialen Femurkondylus bei Konturunregelmäßigkeiten an dieser Stelle im Röntgenbild. Das Lachmannsche Zeichen war negativ.
Nach einer Magnetresonanztomographie vom 18. Juli 2016 lag eine Chondromalazie Stadium II - III am inneren Kniescheibenpol mit begleitenden kleinen subchondralen Zysten und einem Knochenmarködem der Kniescheibe vor. Es zeigte sich eine gering verminderte Ausformung (Dyspla...