1. Noterbrecht und verfügbare Quote, Einbeziehung lebzeitiger Verfügungen
Rz. 99
Wie alle romanischen Rechtsordnungen kennt der luxemburgische Code Civil kein schuldrechtliches, als Geldforderung ausgestaltetes Pflichtteilsrecht bestimmter Erben, sondern gewährt den Berechtigten ein echtes Noterbrecht (réserve) in dem Sinne, dass dieses eine echte dingliche Nachlassbeteiligung gewährt, über die der Erblasser nicht verfügen darf. Letzteres ist ihm nur über denjenigen Teil des Vermögens erlaubt, der über das Noterbrecht hinausgeht, die sog. verfügbare Quote (quotité disponible), Art. 913 ff. Cciv.
Rz. 100
Das Noterbrecht ist nicht nur bei letztwilligen Verfügungen, sondern bereits bei den eng damit zusammenhängigen Verfügungen zu Lebzeiten (libéralités) zu beachten, Art. 913 Cciv. Überschreiten lebzeitige Schenkungen den Freiteil, können die Noterbberechtigten nach dem Tode des Erblassers auch bezüglich der beeinträchtigenden Schenkungen in Höhe des übersteigenden Betrages Herabsetzungsklage erheben.
2. Noterbberechtigte Personen
Rz. 101
Vorbehaltserben (héritiers réservataires) und noterbberechtigt sind nur die Abkömmlinge des Erblassers jeder Art, Art. 913, 914 Cciv. Zwischen ehelichen und nichtehelichen, Adoptiv-, Ehebruchs- und Inzestkindern wird kein Unterschied gemacht. Wie die gesetzliche Erbfolge beschränkt sich auch die Noterbberechtigung auf den gradnächsten, tatsächlich zur Erbfolge gelangenden Abkömmling, Art. 914 Cciv.
Rz. 102
Der überlebende Ehegatte hat ebenso wenig ein Noterbrecht wie die Eltern oder die sonstigen Verwandten des Erblassers. Selbiges gilt für den Partner der eingetragenen Lebenspartnerschaft (siehe dazu Rdn 64). Hat der Erblasser keine Kinder oder sonstige Abkömmlinge, kann er sein Vermögen frei verschenken oder letztwillig darüber verfügen, Art. 916 Cciv.
3. Noterbquote
Rz. 103
Die Höhe des Noterbrechts hängt von der Zahl der Kinder bzw. Abkömmlinge des Erblassers ab.
Rz. 104
Hinterlässt der Erblasser ein Kind, ist dieses noterbberechtigt in Höhe der Hälfte des Nachlasses; über die andere Hälfte ("verfügbare Quote") kann der Erblasser verfügen. Hinterlässt er zwei Kinder, haben diese Noterbrechte von insgesamt zwei Drittel, d.h. über ein Drittel des Nachlasses darf verfügt werden; bei Hinterlassung von drei oder mehr Kindern gehört diesen insgesamt drei Viertel, d.h. über ein Viertel darf der Erblasser verfügen, Art. 913 Cciv.
Rz. 105
Der Ehegatte ist zwar kein Vorbehaltserbe, jedoch seit der Erbrechtsreform vom 26.4.1979 auch nicht völlig rechtlos gestellt: Artikel 1094 Cciv erlaubt jedem Erblasser, der Kinder oder Abkömmlinge von ihnen hinterlässt, zugunsten seines Ehepartners durch letztwillige Verfügung oder durch Ehevertrag wahlweise
▪ |
ihm das volle Eigentum in der Höhe einzuräumen, in der er zugunsten eines Fremden verfügen könnte, m.a.W. die verfügbare Quote; |
▪ |
den Nießbrauch am Überschussbetrag, der dem Ehegatten nicht zu Eigentum anfällt; oder aber auch |
▪ |
den Nießbrauch am ganzen Nachlass. |
Rz. 106
Das Noterbrecht der Kinder kann damit derart beschränkt werden, dass es sich auf das "nackte" Eigentum bezieht und die Kinder zu Lebzeiten des Ehepartners nicht darüber verfügen können. Der Erblasser hat ein uneingeschränktes Wahlrecht, wie er verfügen möchte. Ein Herabsetzungsanspruch der Kinder scheidet hier aus. Sie können nur im Falle der Wiederverheiratung des überlebenden Ehegatten innerhalb von sechs Monaten einstimmig die Kapitalisierung des zugewandten Nießbrauchs verlangen, Art. 1094–1 Cciv. Sie haben ferner Anspruch auf Inventarerstellung nach Maßgabe von Art. 1094–2 Cciv. Verfügt der Erblasser über die in Art. 1094 Cciv zulässige Quote hinaus, ist die gesamte Verfügung nichtig, Art. 1099, 1100 Cciv.
4. Durchsetzung des Noterbrechts
Rz. 107
Verfügt der Erblasser allerdings über die freie Quote hinaus, ist die etwaige Noterbrechte betreffende Quote nicht ipso iure und in toto nichtig. Vielmehr steht den Noterbberechtigten ein Herabsetzungsanspruch bis auf den verfügbaren Vermögensteil zu (Art. 920 Cciv), bis zu deren Geltendmachung durch Klage die Verfügung des Erblassers insgesamt gültig ist. Die Klage ist innerhalb von fünf Jahren nach Ableben des Erblassers geltend zu machen, andernfalls verjährt sie, Art. 1077–2, 1080 Cciv.
Rz. 108
Praktisch ist für die Ermittlung des Anspruchs zunächst die fiktive Erbmasse zu ermitteln, Schenkungen zu Lebzeiten sind hinzuzurechnen, Schulden abzuziehen, Art. 922 Cciv. Das Verfahren und die genaue Wertermittlung setzen die Art. 920 ff. Cciv fest. Vorrangig sind die letztwilligen Verfügungen herabzusetzen. Reicht die Herabsetzung der letztwilligen Verfügungen zur Wiederherstellung der auf den Ergänzungsnachlass bezogenen Noterbquote nicht aus, erfolgt dann die Herabsetzung in Natur durch Rückgabe verschenkter Gegenstände bzw. Rückzahlung empfangener ...