Entscheidungsstichwort (Thema)
Schulgesetz des Landes -Sachsen-Anhalt zur Einführung der Grundschule mit festen Öffnungszeiten vom 24.November 2000 (LSA-GVBl., S. 656)
Leitsatz (amtlich)
1. Das Gesetz über die Einführung der Grundschule mit festen Öffnungszeiten regelt das Spannungsfeld zwischen den Erziehungsrechten der Eltern und des Staates bereits unmittelbar, soweit es eine tägliche Anwesenheit von fünfeinhalb Stunden verlangt und bestimmt, der Unterricht werde durch pädagogische Mitarbeiter(innen) ergänzt und unterstützt.
Dass eine Verordnung den Zeitrahmen näher bestimmen und dass die örtliche Schule innerhalb dieses Rahmens Konkretisierungen vornehmen darf, lässt die bereits durch das Gesetz selbst erzeugte „Restbelastung” unberührt.
2. Das Elternrecht, die Inhalte der Kindererziehung zu bestimmen, und die aus der Schulaufsicht folgende staatliche Erziehungsaufgabe sind einander gleichwertig. Die Festlegung des zeitlichen Rahmens für den Schulbesuch in der Grundschule steht den Eltern nicht vorrangig zu. Der Staat darf Regelungen über Inhalte der Grundschulbildung und über die Schulpflicht auch dann treffen, wenn bei einzelnen Eltern keine Versäumnisse in der Bildungserziehung feststellbar sind.
Dem Landesgesetzgeber kommt ein Gestaltungsspielraum zu, den er durch demokratische Mehrheitsentscheidung ausfüllt. Er ist nicht nur befugt, den organisatorischen Rahmen zu setzen, sondern darf auch die Lernziele, die Lernvorgänge oder das didaktische Programm bestimmen.
3. Der staatliche Erziehungsauftrag umfasst nicht nur die Wissensvermittlung, sondern erstreckt sich auch auf Bildung und Erziehung. Die Grenze zwischen Elternrecht und Schulaufsicht lässt sich nicht nach Erziehungsinhalten ziehen. Die Verfassung fordert keine Trennung in einen schulischen Bereich des Unterrichts und einen elterlichen der Betreuung, wenn wie hier im Fall der Grundschule mit festen Öffnungszeiten beide Bereiche zu einem einheitlichen, „integrativen” Konzept” verbunden worden sind.
Es muss für die konkrete gesetzliche Ausgestaltung entschieden werden, ob diese noch innerhalb des verfassungsrechtlichen Spannungsverhältnisses zwischen elterlichen und staatlichen Erziehungsaufgaben bleibt und verhältnismäßig ist.
4. Die geringe Erweiterung der Schulpflicht, die durch das „integrative Konzept” Sachsen-Anhalts verursacht wird, greift nicht übermäßig in Elternrechte ein und fordert Kinder nicht unzumutbar.
5. Im Schulbereich muss der Gesetzgeber nur das Spannungsverhältnis zwischen Elternrecht und Schulaufsicht selbst regeln, nicht aber jede Einzelheit des pädagogischen Konzepts. Eine abschließende Regelung durch den Gesetzgeber selbst ist insbesondere nicht schon deshalb verfassungsrechtlich geboten, weil die Frage im Prozess der demokratischen Willensbildung politisch umstritten war und ist.
6. Dem Landesverfassungsgericht obliegt es nicht, zu prüfen, wie geeignet ein pädagogisches Konzept ist; es kann lediglich dessen offenkundige Unbrauchbarkeit feststellen. Ein Schulkonzept ist nicht erst dann verfassungsgemäß, wenn es sich auf in der Wissenschaft „allgemein anerkannte” Grundsätze stützt oder wenn zunächst ein „Schulversuch” stattgefunden hat.
7. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verlangt nicht, die Betreuung lediglich als Angebot zu führen.
Das mit dem „integrativen” Konzept verfolgte Ziel wird nicht mehr erreicht, wenn einzelne seiner Teile nur freiwillig zur Verfügung und nicht insgesamt unter die Schulpflicht gestellt werden.
Tenor
Die Verfassungsbeschwerden werden zurückgewiesen.
Gerichtskosten werden nicht erhoben, außergerichtliche Kosten nicht erstattet.
Tatbestand
1. Vor der hier streitigen Gesetzesänderung enthielt das Schulgesetz des Landes Sachsen-Anhalt (i. d. F. d. Bek. v. 27.08.1996 [LSA-GVBl., S. 281], zuletzt geändert durch Gesetze vom 13.01.2000 [LSA-GVBl., S. 108] und vom 18.01.2000 [LSA-GVBl., S. 112] – LSA-SG –) u. a. folgende Regelungen:
„§ 4: Grundschule
(1) In der Grundschule werden Schülerinnen und Schüler des 1. bis 4. Schuljahrganges unterrichtet.
(2) Die Grundschule vermittelt ihren Schülerinnen und Schülern im Unterricht Grundkenntnisse und Grundfertigkeiten und entwickelt die verschiedenen Fähigkeiten in einem für alle Schülerinnen und Schüler gemeinsamen Bildungsgang. Bei der Unterrichtsgestaltung sind die individuellen Voraussetzungen der Schülerinnen und Schüler mit ihren unterschiedlichen kognitiven, sozialen, emotionalen und motorischen Entwicklungen zu beachten.
(3) aufgehoben
(4), (5) …
(6) Auf Antrag der Gesamtkonferenz und in Abstimmung mit dem Schulträger können Grundschulen als Schulen mit einem zusätzlichen sozialpädagogischen Angebot geführt werden, in denen Schülerinnen und Schüler in einer für alle Schultage einheitlichen Zeit unterrichtet und betreut werden (Grundschule mit festen Öffnungszeiten), soweit die personellen und sächlichen Voraussetzungen gegeben sind. Die Errichtung bedarf der Genehmigung der Schulbehörde.
§ 36: [Schulpflicht,] Allgemeines
(1) Der Besuch einer Schule ist für alle im Lan...