Dr. iur. Stefan Lammel, Dr. Jan Henning Martens
Leitsatz
In Personengesellschaften sind Gesellschafterbeschlüsse nach dem Gesetz einstimmig zu fassen. Im Gesellschaftsvertrag kann jedoch Abweichendes bestimmt werden. Dabei sollten die der Mehrheitsentscheidung unterfallenden Beschlussgegenständen einzeln im Gesellschaftsvertrag aufgeführt werden.
Sachverhalt
Der Kläger ist Liquidator einer GbR. Er verlangt von dem beklagten Gesellschafter eine Nachforderung, da die Auseinandersetzungsbilanz ein entsprechend negatives Guthaben auswies. Der Beklagte verteidigt sich mit dem Einwand, dass die Gesellschafter die Auseinandersetzungsbilanz nicht wirksam festgestellt hätten. Der Beschluss wurde nämlich mit einer Mehrheit von 61 % der Stimmen gefasst, obwohl der Gesellschaftsvertrag diesen Beschlussgegenstand nicht ausdrücklich aufführte. Die allgemeine Klausel, wonach "alle Beschlüsse mit einfacher Mehrheit gefasst werden", reiche nicht aus. Als "Grundlagengeschäft" erfordere die Feststellung der Auseinandersetzungsbilanz im Einklang mit der Rechtsprechung eine ausdrückliche Regelung im Gesellschaftsvertrag.
Entscheidung
Der BGH gab dem klagenden Liquidator Recht. Die Feststellung der Auseinandersetzungsbilanz habe nicht einstimmig erfolgen müssen, da die Auslegung des Gesellschaftsvertrages bereits den einfachen Beschluss ausreichen lasse. Entsprechend der "Otto-Entscheidung" (Az. II ZR 245/05) und der Entscheidung "Schutzgemeinschaftsvertrag II" (Az: II ZR 116/08) müsse die Wirksamkeit des Beschlusses in zwei Stufen überprüft werden. In der ersten Stufe wird geprüft, ob die Regelung des Gesellschaftsvertrages wirksam vereinbart werden konnte. Entsprechend der früheren Rechtsprechung müssten zwar Beschlüsse, die in den "Kernbereich der Mitgliedschaft" eingreifen, im Gesellschaftsvertrag genannt werden. Sonst gelte hierfür die gesetzliche Regelung der Einstimmigkeit. Eine entsprechende Bestimmung könne allerdings auch durch Auslegung ermittelt werden. Im vorliegenden Fall führte das zu einer wirksamen Bestimmung.
In einer zweiten Stufe müsse dann ermittelt werden, ob die Gesellschafter durch die Beschlussfassung mit einfacher Mehrheit hinreichend auf die Belange der Minderheit Rücksicht nehmen. Der BGH sah im entschiedenen Fall auch keine Probleme hierin.
Hinweis
Die Entscheidung des BGH steht im Einklang mit der von ihm zitierten "Otto-Enscheidung" (Az. II ZR 245/05). Für die Beschlussfassung über Auseinandersetzungsbilanzen reicht somit die einfache Mehrheit aus. Hinsichtlich anderer Beschlussgegenstände ist die in der Praxis häufig anzutreffende Regelung der Mehrheitsentscheidungen jedoch ausführlich zu formulieren. Bei der Formulierung ist auf Grund der Rechtsprechung darauf zu achten, in den sogenannten Kernbereich eingreifende, dem Mehrheitsprinzip unterfallende Entscheidungen explizit zu nennen. Welche Entscheidungen jedoch in diesen Kernbereich fallen, ist im Einzelnen umstritten. Anerkannt ist dies für Änderungen des Gesellschaftsvertrages, die Aufnahme neuer Gesellschafter, Kapitalmaßnahmen, den Abschluss von Beherrschungs- und Gewinnabführungsverträgen, Umwandlungen sowie der Auflösung. Nach wie vor empfiehlt es sich, nicht erst auf die Auslegung zu vertrauen, sondern durch Aufzählung der gewünschten Mehrheitsentscheidungen eine eindeutige Formulierung zu wählen.
Durch die vom BGH eingeführte zweite Stufe können Gerichte zwar in Einzelfällen die Belange der Minderheit hinreichend berücksichtigen. Rechtsicherheit wird so allerdings nicht geschaffen, da jede Fallgestaltung mit den bereits entschiedenen Fällen vergleichbar sein müsste. Bestehende Gesellschaftsverträge sollten überprüft werden, ob die Mehrheitsanforderungen den Anforderungen der Rechtsprechung gerecht werden. Da Änderungen nicht notariell zu beurkunden sind, können bestehende Verträge unproblematisch ergänzt werden - solange sich die Gesellschafter einig sind, steht einem (einstimmigen) Änderungsbeschluss schließlich nichts entgegen.
Link zur Entscheidung
BGH, Urteil vom 15.11.2011, II ZR 272/09