Rz. 32
Der Gesellschaftssitz, das sog. domicilio social, ist nach Art. 6 VII LGSM im Gesellschaftsvertrag bei der Gründung anzugeben. Als ständiger Handelsbrauch wird hier nur die Gemeinde oder Stadt und keine konkrete Adresse angegeben, um Ortswechsel innerhalb dieser Entität ohne das bürokratische Erfordernis einer Änderung des Gesellschaftsvertrags zu ermöglichen. Als Gesellschaftssitz ist nach Art. 33 CCF und überwiegender Auffassung in der Literatur der Ort der tatsächlichen Geschäftsleitung anzugeben. Die Angabe eines anderen Gesellschaftssitzes im Gesellschaftsvertrag, beispielsweise um ein genehmeres Recht oder steuerliche Vorteile zu erlangen, ist weit verbreitete Praxis, eigentlich aber unzulässig. In Mexiko hat jeder der 32 Bundesstaaten ähnlich den Vereinigten Staaten von Amerika ein eigenes Zivil- und Strafgesetzbuch, die subsidiär zu den Bundesgesetzen CC und LGSM Anwendung finden. Aus dem Gesellschaftssitz folgt daher regelmäßig das anwendbare Familien- und Erbrecht für im Zusammenhang mit der Gesellschaft stehende Angelegenheiten. Der Gesellschaftssitz konstituiert, sofern der Gesellschaftsvertrag keine abweichenden (Schiedsgerichts-)Abreden trifft, auch den örtlichen Gerichtsstand. So ist beispielsweise im Insolvenzfall nach ständiger Rspr. das Gericht an dem Ort zuständig, in welchem sich der eingetragene Gesellschaftssitz befindet, sofern ein Beteiligter nicht beweisen kann, dass sich der tatsächliche Sitz der Geschäftsleitung an einem anderen Ort befindet. Die Vereinbarung eines außerhalb Mexikos liegenden Gesellschaftssitzes ist nach allgemeinen Rechtsgrundsätzen und ganz herrschender Auffassung für eine mexikanische S. de R.L. nicht zulässig.
Rz. 33
Aus dem Gesellschaftssitz folgt aus Art. 18, 21 CC die Pflicht zur Eintragung in das Handelsregister des entsprechenden Bundesstaates.
Rz. 34
Von erheblicher praktischer Bedeutung insbesondere für S. de R.L. mit ausländischen Gesellschaftern ist Art. 80 LGSM, nach dem die jährlichen Gesellschafterversammlungen am Gesellschaftssitz stattfinden müssen. Fraglich ist, ob Gesellschafterversammlungen außerhalb des Gesellschaftssitzes zulässig und dort getroffene Beschlüsse wirksam sind. Für die mexikanische Aktiengesellschaft besteht eine ähnliche Bestimmung in Art. 179 LGSM, die zum Schutz der Aktionäre ausdrücklich eine Nichtigkeit anordnet, sofern kein Fall der höheren Gewalt (fuerza mayor) oder außergewöhnliche Umstände (caso fortuito) vorliegen. Aus dem Fehlen dieses Zusatzes in Art. 80 LGSM folgt nach hier vertretener Auffassung im Wege der systematischen Auslegung im Umkehrschluss, dass Beschlüsse außerhalb des Gesellschaftssitzes zulässig sind. Nach herrschender Meinung gilt das Verbot des Art. 179 LGSM aber für alle Gesellschaftstypen im Wege einer Analogie. Da somit das erhebliche Risiko einer Nichtigkeit besteht, behilft man sich in der Rechtspraxis mit Vollmachten, die die Gesellschafter Anwälten oder anderen Bevollmächtigten vor Ort erteilen, um einen Gesellschafterbeschluss umzusetzen, zu unterzeichnen und in den gesetzlich vorgesehenen Fällen vor dem Notar zu ratifizieren.
Rz. 35
Ein entsprechender Gesellschaftssitz ist teilweise formale Voraussetzung zum Erhalt von staatlichen Subventionen auf Bundesstaats- oder Gemeindeebene. Die S. de R.L. muss unmittelbar nach Gründung zum Erhalt einer Steuernummer eine genau bestimmte Steueradresse angeben, die in der Praxis eine wichtigere Rolle als Vollstreckungsort für Steuer- und Abgabenschulden sowie Betriebsprüfungen spielt, als der Gesellschaftssitz.