Rz. 36
Eine mexikanische S. de R.L. kann nach Art. 4 Abs. 2 LGSM Handelsgeschäfte durchführen, die zur Erfüllung des ihr gegebenen Gesellschaftszwecks, dem sog. objeto social, notwendig sind, mit Ausnahme solcher, die durch Gesetz oder Gesellschaftsvertrag ausdrücklich verboten sind. Man muss dogmatisch zwischen dem Gesellschaftszweck und den zur Erreichung desselben notwendigen Handlungen unterscheiden. Vertreten wird die S. de R.L. dabei durch ihren oder ihre Geschäftsführer, die nach Art. 10 Abs. 1 LGSM solche Rechtsgeschäfte durchführen dürfen, die dem Gesellschaftszweck inhärent sind. Art. 26 CCF erlaubt juristischen Personen, alle Rechte auszuüben, die notwendig sind, um den Gesellschaftszweck zu erreichen.
Rz. 37
Im Unterschied zum deutschen Recht wird diese Bestimmung in Mexiko unter Anwendung der aus dem Common Law bekannten Ultra Vires-Doktrin sehr eng ausgelegt. Die vorgenannten Artikel dürfen also nicht im Sinne eines "was nicht durch Gesellschaftsvertrag oder Gesetz verboten ist, ist erlaubt" verstanden werden. Erschließt sich eine S. de R.L. neue Geschäftsbereiche, die nicht vom ursprünglichen Gesellschaftszweck umfasst waren, ist aufgrund der sehr formalen Auslegung eine Satzungsänderung notwendig. Eine nicht vom Gesellschaftszweck gedeckte Handlung der Geschäftsführer kann nach uneinheitlicher Rspr. entweder absolut nichtig oder relativ nichtig sein; in der Literatur wird teilweise auch eine Anwendung der Regeln für die irreguläre Gesellschaft vertreten. Diese Bestimmung dient ausweislich der Gesetzesbegründung (exposicion de motivos) dem Schutz der Gesellschafter, deren Einlagen von der Geschäftsführung nicht zweckentfremdet werden sollen. Um diese mit zusätzlichen Notar- und Registerkosten verbundene und zudem nach Art. 83 a.E. LGSM unabdingbar nur durch einstimmigen Gesellschafterbeschluss mögliche Satzungsänderung zu vermeiden, hat sich gewohnheitsrechtlich eine Praxis entwickelt, den Gesellschaftszweck im Gesellschaftsvertrag sehr weit, häufig über mehrere Seiten, zu fassen und neben dem tatsächlichen alle erdenklichen und möglicherweise künftig beabsichtigten Gesellschaftszwecke aufzuführen.
Dieses sehr enge Verständnis wird mit Hinweis auf Art. 229 Abs. 2 LGSM, nach dem die Unmöglichkeit der Erreichung oder erschöpfende Erfüllung des Gesellschaftszwecks einen Auflösungstatbestand darstellt, kritisiert. Es sei ein weites Verständnis des Gesellschaftszwecks geboten.
Rz. 38
Bei der Wahl des Gesellschaftszwecks ist darauf zu achten, dass der mexikanische Staat bestimmte Geschäftsaktivitäten reguliert oder inländischen Gesellschaften vorbehalten hat. Nur beispielhaft sei Art. 5 Abs. 1 Ley de Secretaría de Hacienda y Crédito Público oder Ley General de Organizaciones y Actividades Auxiliares del Crédito genannt, der für Finanzdienstleistungen, die die Verwaltung von fremdem Vermögen zum Gegenstand haben, eine Erlaubnis der Finanzamts SHCP voraussetzt. Durch das am 23.4.2021 veröffentlichte Dekret zur Reform des Arbeitsrechts wurden außerdem Art. 13 Abs. 1, Art. 15 LFT dahingehend geändert, dass Unternehmen nur zur Ausführung solcher Tätigkeiten auf von Drittunternehmen entliehene oder überlassene Arbeitnehmer zurückgreifen können, sofern die durch diese Arbeitnehmer ausgeführten Tätigkeiten nicht vom eigenen Gesellschaftszweck umfasst sind. Es ist davon auszugehen, dass diese neue Bestimmung mittelfristig zu enger gefassten Gesellschaftszwecken führen wird. Umgekehrt müssen sich Unternehmen, die Arbeitnehmerüberlassung als Gesellschaftszweck aufführen, nach Art. 15 Abs. 1 LFT in einem speziellen, beim Arbeitsministerium (Secretaría del Trabajo y Prevención Social) geschaffenen Register eintragen.