Rz. 130
Wie auch andere lateinamerikanische Länder hat Mexiko im Zuge der Verabschiedung einer völlig neu konzipierten Strafprozessordnung am 5.3.2014 mit dem Titel X, Kapitel II (Art. 421–425) CNPP die Verbandsstrafbarkeit in das mexikanische Strafrecht übernommen. Juristische Personen, somit auch die S. de R.L., unterliegen nach Art. 421 Abs. 1 Satz 1 CNPP als Strafrechtssubjekte strafrechtlicher Verantwortlichkeit. Die mexikanische Staatsanwaltschaft (Ministerio Público) kann die Strafverfolgung nach Art. 421 Abs. 2 CNPP unabhängig von einem Strafverfahren gegen natürliche Personen einleiten.
I. Anknüpfungspunkt
Rz. 131
Der juristischen Person kann ein Delikt nach Art. 421 Abs. 1 Satz 1 CNPP dann zugerechnet werden, wenn es in ihrem Namen, für ihre Rechnung, zu ihrem Vorteil oder durch von ihr zur Verfügung gestellte (Tat-)Mittel begangen wird. Sozusagen akzessorisch an diesen Prozess anknüpfend kann eine Strafverfolgung der juristischen Person eingeleitet werden. Hinzutreten muss ein Organisationsverschulden als ein unzureichendes Ausüben von Kontrolle und Aufsicht innerhalb der Unternehmensstruktur, die die Tat des Mitarbeiters ermöglicht hat. Durch den Nachweis der Etablierung ausreichender Compliance-Maßnahmen und einer angemessenen Organisationsstruktur kann sich die Gesellschaft entschulden.
II. Delikte
Rz. 132
Nach Art. 421 Abs. 6 CNPP muss die Strafbarkeit der juristischen Person ausdrücklich im materiellen Strafrecht, also im CPF oder in den Strafgesetzbüchern der Länder, angeordnet sein. Der 2016 in das mexikanische Strafgesetzbuch aufgenommene Art. 11bis CPF ermöglicht eine Strafbarkeit juristischer Personen unter anderem bei Terrorismus, Eingriff in den Luftverkehr, Delikten gegen die Gesundheit, Bestechung, Vorteilsgewährung und Vorteilsnahme, Untreue, Geld- und Wertzeichenfälschung, Menschenhandel, gewerbsmäßiger Hehlerei, Diebstahl von Kraftfahrzeugen und deren Hehlerei, Betrug, Umweltdelikten, Delikten gegen geistiges Eigentum, Waffenhandel, Menschenschmuggel, Einschleusen von Ausländern, Organhandel und Schmuggel, Diebstahl von Industriegeheimnissen und anderen Wirtschaftsdelikten wie Marktmanipulation, Insolvenzdelikten, aber auch gewerbsmäßigem Vorenthalten von Sozialversicherungsbeiträgen oder von Zahlungen an andere öffentliche Kassen.
Rz. 133
Die Steuerdelikte haben eine besondere Bedeutung für die Unternehmensstrafbarkeit. Zu nennen sind zunächst die in Art. 108, 109 CFF genannten Delikte Steuerbetrug und Steuerhinterziehung. Breit in der Öffentlichkeit diskutiert wurde die Aufnahme des Art. 113bis CFF in den Katalog: Diese Vorschrift sanktioniert die weit verbreitete Ausstellung oder den Verkauf von steuerlich absetzbaren Rechnungen, denen nichtexistente, falsche oder simulierte Leistungen zugrunde liegen, mit drei bis sechs Jahren Freiheitsstrafe. Diese Vorschrift richtet sich gegen ein in Mexiko zum Zweck der Geldwäsche und Steuerhinterziehung existierendes Geflecht an Scheinfirmen, die gegen Entgelt steuerlich absetzbare Rechnungen ausstellen.
III. Sanktionen und Strafen
Rz. 134
Art. 422 CNPP gibt einen verbindlichen Rahmen für Sanktionen gegen juristische Personen vor, die durch materielle Strafnormen im Einzelnen konkretisiert werden. Vorgesehen sind Geldstrafen, Einzug von Tatwerkzeugen, Tatmitteln oder aus den Delikten erlangten Vorteilen, Veröffentlichung des Urteils in Zeitungen und anderen Medien im Sinne eines "An-den-Pranger-Stellens" und als Ultima Ratio gerichtliche Auflösung des Unternehmens. Bei der Strafzumessung muss das Strafgericht nach Art. 422 Abs. 2 CNPP berücksichtigen: den Grad der Verletzung der Überwachungspflicht bzw. des Organisationsverschuldens, die bei dem Delikt involvierte Geldsumme, die Rechtsform und den jährlichen Umsatz des Unternehmens, die Stellung der in die Begehung involvierten Personen im Unternehmen, die allgemeine sonstige Rechtstreue des Unternehmens, das öffentliche Strafverfolgungsinteresse und die sozialen und wirtschaftlichen Folgen für die Gesellschaft.