Leitsatz
Nach dem Tode ihrer Mutter lebte die Klägerin bei ihren Großeltern. Der Vater leitete in dem streitgegenständlichen Zeitraum die für die Klägerin gezahlte Halbwaisenrente und das Kindergeld an die Großeltern weiter. Die Klägerin verlangte Kindesunterhalt von ihrem Vater. Kernproblem der Entscheidung war die Bemessung des Betreuungsunterhalts im Hinblick auf die auswärtige Unterbringung der Klägerin sowie die Anrechnung von Halbwaisenrente und Kindergeld.
Sachverhalt
Die Parteien stritten um Kindesunterhalt für die Zeit von August 2001 bis Juli 2003. Der Beklagte ist der Vater der am 24.5.1988 geborenen Klägerin. Nach dem Tod ihrer Mutter wohnte die Klägerin zunächst mit ihren beiden in den Jahren 1984 und 1990 geborenen Geschwistern im Haushalt ihres Vaters. In der Zeit von August 2000 bis Juli 2003 wohnte sie mit seinem Einverständnis im Haushalt ihrer Großeltern, von denen sie auch betreut wurde. Ende Januar 2003 zog auch ihre Schwester bei dem Beklagten aus. Die Klägerin erhielt seit dem Tode ihrer Mutter eine Halbwaisenrente i.H.v. 175,61 EUR monatlich. Diese Halbwaisenrente und das volle Kindergeld leitete der Beklagte in der relevanten Zeit von August 2001 bis Juli 2003 an die Großeltern weiter.
Er selbst verfügte über ein bereinigtes Nettoeinkommen, von dem ihm nach Abzug des notwendigen Selbstbehalts 490,25 EUR monatlich verblieben.
Die Klägerin begehrte von ihm Unterhalt i.H.v. 181,00 EUR monatlich. Einen Teilbetrag i.H.v. 34,38 EUR erkannte der Beklagte an. Das AG hat den Beklagten zur Zahlung des anerkannten Betrages verurteilt und die Klage im Übrigen abgewiesen. Auf die Berufung der Klägerin hat das OLG den Beklagten unter Zurückweisung der weitergehenden Klage und Berufung verurteilt, an sie für die Zeit von August 2001 bis Juli 2003 Kindesunterhalt i.H.v. monatlich 90,00 EUR zu zahlen. Hiergegen richteten sich die zugelassenen Revisionen beider Parteien.
Das weitere Rechtsmittel des Beklagten war unbegründet, die Revision der Klägerin begründet und führte zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Verurteilung des Beklagten in dem von ihr beantragten Umfang.
Entscheidung
Der BGH vertrat die Auffassung, der Beklagte schulde der Klägerin sowohl Bar- als auch Betreuungsunterhalt. Nach dem Tode der Mutter hafte der überlebende Elternteil für den Unterhalt grundsätzlich allein. Wohne das Kind nicht im Haushalt des Unterhaltsschuldners, so sei der geschuldete Betreuungsunterhalt wegen der Gleichwertigkeit mit dem Barunterhalt pauschal in dessen Höhe zu monetarisieren. Für einen davon abweichenden Betreuungsbedarf trage derjenige die Darlegungs- und Beweislast, der sich darauf berufe.
Eigenes Einkommen des Kindes mindere dessen Unterhaltsbedürftigkeit und damit auch seinen Unterhaltsanspruch. Demzufolge sei auch die der Klägerin zustehende Halbwaisenrente in vollem Umfang auf ihren gesamten Unterhaltsbedarf anzurechnen. Dies gelte auch für das staatliche Kindergeld, das nach dem Tod eines Elternteils alleine der Entlastung des anderen Elternteils dienen solle.
Hinweis
Die Entscheidung des BGH führt in der unterhaltsrechtlichen Praxis zu einer Vereinfachung. Der BGH stellt auf den Gesamtbedarf des unterhaltsbedürftigen Kindes ab und teilt diesen in den Barunterhalt sowie den gleichwertigen Betreuungsunterhalt auf. Wird der Betreuungsunterhalt nicht mehr geleistet und ist der Gesamtunterhalt deshalb nach dem Tod eines Elternteils durch den überlebenden Elternteil allein zu leisten, so hat er auch den weggefallenen Anteil zu übernehmen. Diesen monetarisiert der BGH pauschal mit dem Wert des Barunterhalts. Damit ist eine lang umstrittene Rechtsfrage einer Entscheidung zugeführt.
Sonderfälle mit von dem Grundsatz der Gleichwertigkeit abweichenden Hintergrund bedürfen auch zukünftig weiterhin der Einzelfallbetrachtung.
Link zur Entscheidung
BGH, Urteil vom 30.08.2006, XII ZR 138/04