Sachverhalt
Bei dem britischen Verfahren ging es um die zutreffende Bestimmung eines Unternehmers, der Darlehensvermittlungsleistungen erbringt, sowie um die Bestimmung einer Leistungsbeziehung für Werbedienstleistungen bzw. einer etwaigen daraus entstehenden Steuerschuldnerschaft des Leistungsempfängers.
Im vorliegenden Verfahren hatte die britische MwSt-Behörde mit Bescheid v. 27.9.2005 MwSt gegen den Kläger festgesetzt. Dieser Bescheid bezog sich auf Dienstleistungen auf dem Gebiet der Werbung, die eine auf Jersey ansässige Gesellschaft W Ltd (W) nach Ansicht der MwSt-Behörde an den Kläger erbrachte. Die MwSt-Behörde machte geltend, dass diese Werbeleistungen, da W außerhalb des Vereinigten Königreichs ansässig sei und da der Kläger im Vereinigten Königreich ansässig sei, den Bestimmungen über die Verlagerung der Steuerschuld in Section 8 des VAT Act 1994 (VATA) unterlägen, weil es sich bei den Werbedienstleistungen um Leistungen im Sinne von Art. 9 Abs. 2 Buchst. e und Art. 21 Abs. 1 Buchst. b der 6. EG-Richtlinie handele. Die Werbeleistungen dienten der Förderung von Darlehensvermittlungsleistungen. Diese würden von dem Kläger an Darlehensgeber im Vereinigten Königreich erbracht und seien im Vereinigten Königreich steuerbar (da sowohl der Kläger als auch die Empfänger (Drittdarlehensgeber im Vereinigten Königreich) im Vereinigten Königreich ansässig seien (Section 7[10] VATA, Art. 9 Abs. 1 der 6. EG-Richtlinie). Die Darlehensvermittlungsleistungen seien steuerfrei (Section 31 und Schedule 9 VATA, Art.
13 Teil B Buchst. d der 6. EG-Richtlinie). Da die Werbedienstleistungen für diese steuerbefreiten Umsätze erbracht würden, sei der Kläger Steuerschuldner und die geschuldete MwSt berechtige nicht zum Vorsteuerabzug.
Der Kläger war der Auffassung, dass die Darlehensvermittlungsleistungen von einer auf Jersey ansässigen A Ltd (A) erbracht würden und dass A die Werbedienstleistungen empfangen habe. Der Kläger ist Alleininhaber von A. Nach Ansicht der britischen MwSt-Behörde stellt diese Unternehmenskonstruktion eine missbräuchliche Praxis dar, die dazu diene, nicht als Vorsteuer abziehbare MwSt zu vermeiden.
Hinsichtlich der streitigen Darlehensvermittlungsleistungen bestand eine komplexe Aufgabenteilung zwischen dem Kläger und A. Nach den vertraglichen Bestimmungen sollte der Kläger sämtliche bei der Darlehensvermittlung anfallende Vorgänge bearbeiten, von der Bearbeitung der Anfragen, die interessierte Darlehensnehmer auf von A betriebene Werbung hin stellen, bis hin zur Weiterleitung von Darlehensanträgen entsprechend den Weisungen von A. A ihrerseits ging verschiedene Verpflichtungen ein; u. a. hatte sie sicherzustellen, dass die Werbung den Verbraucherkreditvorschriften entspricht, sowie eine schriftliche Ermächtigung für die Weiterleitung von Unterlagen an die Darlehensgeber zu erteilen.
Es war unstreitig, dass der Kläger keine "feste Niederlassung" von A im Sinne des VATA darstellte, dass A keine andere festen Niederlassung im Vereinigten Königreich hatte und deshalb zu Jersey gehörte, dass der Kläger im Vereinigten Königreich und dass W auf Jersey ansässig ist.
Der Kläger machte geltend, dass die Dienstleistungen auf dem Gebiet der Werbung, die auf Darlehen suchende Kunden im Vereinigten Königreich ausgerichtet gewesen sei, an A erbracht worden seien und dass A ihrerseits die Darlehensvermittlungsleistungen erbracht habe. Die britische Behörde war der Auffassung, dass mehrwertsteuerrechtlich nicht A, sondern der Kläger die Darlehensvermittlungsleistungen erbracht habe und dass demzufolge die Dienstleistungen auf dem Gebiet der Werbung an den Kläger und nicht an A erbracht worden seien.
Der EuGH hatte über drei wesentliche Problemkreise zu befinden:
- Anhand welcher rechtlichen Kriterien ist zu bestimmen, ob die Darlehensvermittlungsleistungen von A oder vom Kläger erbracht worden sind?
- Anhand welcher rechtlichen Kriterien ist zu bestimmen, ob die Dienstleistungen auf dem Gebiet der Werbung an A oder an den Kläger erbracht worden sind?
- Wenn die Darlehensvermittlungsleistungen mehrwertsteuerrechtlich nicht vom Kläger, sondern von A an die Darlehensgeber im Vereinigten Königreich erbracht worden sind und dementsprechend keine abzugsfähige VSt auf die zugehörigen Werbeausgaben angefallen ist, stellt dann die Regelung bei einer Gesamtschau einen Rechtsmissbrauch dar?
Entscheidung
Der EuGH hat dem Vorlagegericht bezogen auf seine ständige Rechtsprechung zu missbräuchlichen Gestaltungen lediglich Auslegungshinweise gegeben, ohne den Fall selbst entschieden zu haben. Danach stellt die Berücksichtigung der wirtschaftlichen und geschäftlichen Realität ein grundlegendes Kriterium für die Anwendung des gemeinsamen Mehrwertsteuersystems dar. Da die vertragliche Situation normalerweise die wirtschaftliche und geschäftliche Realität der Transaktionen widerspiegelt, sind die einschlägigen Vertragsbestimmungen bei der Feststellung, wer Erbringer und wer Begünstigter einer Dienstleistung im Sinne von Art. 2 Nr. 1 und Art. 6 Abs. ...