Leitsatz
1. Ein Eigentümerbeschluß ist in der Regel nicht allein deshalb unwirksam, weil er für die Hausbewohner eine Ruhezeit von 20.00 Uhr bis 8.00 Uhr und von 12.00 Uhr bis 14.00 Uhr vorsieht.
2. Eine Regelung, die das Singen und Musizieren außerhalb von Ruhezeiten nur in "nicht belästigender Weise und Lautstärke" gestattet, ist mangels hinreichender Bestimmtheit unwirksam.
3. Unwirksam ist auch eine Regelung, welche das Singen und Musizieren ohne sachlichen Grund stärker einschränkt als die Tonübertragung durch Fernseh-, Rundfunkgeräte oder Kassetten- bzw. Plattenspieler.
Sachverhalt
Die mehrheitlich beschlossene Hausordnung einer Wohneigentumsanlage enthält u.a. die Regelung, daß das Musizieren ab 20.00 Uhr wirksam untersagt werden kann. Unabhängig von den Ruhezeiten, sollte das Singen und Musizieren nur in "nicht belästigender Weise und Lautstärke" gestattet sein. Einer der Wohnungseigentümer war der Auffassung, die mehrheitlich beschlossene Ruhezeit sei wegen eines übermäßigen Eingriffs in das Sondereigentum ungültig. Das OLG Stuttgart konnte über die entsprechende Beschlußanfechtung nicht abschließend entscheiden (siehe PuR 8/98, S. 55 f.), womit nunmehr der BGH das letzte Wort hatte.
Entscheidung
Die Richter haben zunächst festgestellt, daß der angefochtene Eigentümerbeschluß nicht schon deshalb für ungültig zu erklären ist, weil er Ruhezeiten von 20.00 Uhr bis 8.00 Uhr und von 12.00 Uhr bis 14.00 Uhr festlegt. Hier haben nämlich die Wohnungseigentümer im Rahmen ihres Selbstorganisationsrechts einen entsprechenden Ermessensspielraum. Dieser ist durch den Grundsatz von Treu und Glauben nur insoweit eingeschränkt, als kein generelles Musizierverbot oder eine diesem praktisch gleichzusetzende Reglementierung beschlossen werden kann. Insgesamt darf demnach das Musizieren zwar auf bestimmte Zeiten und in einem bestimmten Umfang begrenzt, jedoch nicht insgesamt verboten werden.
Die angefochtenen Ruhezeiten - insbesondere das abendliche Musizierverbot ab 20.00 Uhr - kommen jedoch einem derartigen absoluten Musizierverbot nicht gleich. Den Hausbewohnern bleibt hier durchaus zu den übrigen Zeiten genügend Freiraum zum Musizieren. Eine derartige Regelung könnte demnach nur in Ausnahmefällen unwirksam sein, wobei die tatsächlichen Verhältnisses maßgebend sind. Sollte es sich also um eine Seniorenwohnanlage handeln, wird ein größeres Maß an Rücksichtnahme seitens der musizierenden Bewohner erwartet. Weiter sind natürlich auch bauliche Gegebenheiten zu berücksichtigen wie der Abstand der Wohnungen zueinander, die Hellhörigkeit im Gebäude, der Pegel von Umgebungsgeräuschen und die Art des Musizierens.
Der angefochtene Eigentümerbeschluß ist jedoch aus einem anderen Grund unwirksam. Soweit hierdurch nämlich das Singen und Musizieren nur "in nicht belästigender Weise und Lautstärke" unabhängig von den Ruhezeiten gestattet wird, wissen die betreffenden Eigentümer nicht, in welchen Fällen und unter welchen Umständen das Musizieren eine Belästigung darstellt, die zum völligen Verbot führen soll. Der einzelne Wohnungseigentümer kann hier nicht erkennen, welches Maß der Musikausübung außerhalb der festgesetzten Ruhezeiten noch gestattet und wann die zulässige Grenze überschritten ist. Insoweit mangelt es der Regelung an der erforderlichen inhaltlichen Bestimmtheit und Klarheit.
Grundsätzlich darf eine Hausordnung, die über die Festlegung bestimmter Ruhezeiten darüber hinaus auch die Lautstärke und Intensität der Musik reglementieren will, nur schwerwiegende und nach dem Empfinden eines verständigen Durchschnittsmenschen nicht mehr hinnehmbare Störungen erfassen. Beispielhaft seien hier Schlagzeugspielen oder das Proben einer Rockband angeführt. Der Regelungstatbestand muß von sich heraus von den Fällen zulässiger Betätigung abgrenzbar sein.
Soweit die Hausordnung darüber hinaus vorsieht, Rundfunk- und Fernsehgeräte sowie Plattenspieler dürften auch in den für das Musizieren geltenden Ruhezeiten in einer Lautstärke betrieben werden, die Mitbewohner nicht belästigt, so ist diese Regelung unwirksam, weil sie die verschiedenen Geräuschquellen in bezug auf die Ruhezeiten unzulässigerweise unterschiedlich behandelt. Letztlich macht es keinen Unterschied, ob die Mitbewohner in der Ruhezeit durch die Ausübung oder das Anhören von Musik gestört werden.
Link zur Entscheidung
BGH, Beschluss vom 10.09.1998, V ZB 11/98
Fazit:
Nach dieser höchstrichterlichen Entscheidung kann nunmehr zusammengefaßt werden, daß die Hausordnung durchaus ein generelles Musizierverbot abends auch bereits ab 20.00 Uhr vorsehen kann, ansonsten jedoch eindeutig festlegen muß, welche Art bzw. Lautstärke außerhalb der festgelegten Ruhezeiten über das zumutbare Maß hinausgeht und somit ebenfalls verboten ist. Die Hausordnung darf darüber hinaus nicht andere Geräuschquellen, wie Radio und Fernsehen hinsichtlich der für die Musikausübung vorgesehenen Ruhezeiten privilegieren.