Leitsatz

Nachträglicher Anbau von Balkonen als nachteilige Modernisierungsmaßnahme

 

Normenkette

§§ 14 Nr. 1, 22 Abs. 2 WEG; § 559 BGB

 

Kommentar

  1. Beim nachträglichen Anbau von Balkonen handelt es sich zunächst um Modernisierungsmaßnahmen i.S.v. § 22 Abs. 2 Satz 1 WEG i.V.m. § 559 Abs. 1 BGB. Insoweit ist durch den Verweis auf mietrechtliche Regelungen in § 559 Abs. 1 BGB eine großzügige Handhabung des Modernisierungsbegriffs geboten (vgl. auch BGH, Urteil v. 18.2.2011, V ZR 82/10). Der Gebrauchswert betroffener Wohnungen wird durch solche neu geschaffenen Außenbalkone erheblich erhöht.
  2. Allerdings führt der Balkonanbau zu einer Veränderung der Eigenart der Wohnanlage (a.A. noch die Vorinstanz Amtsgericht Hannover im Urteil v. 26.10.2010, ZMR 2011 S. 334). Vorliegend wird auch der optische Gesamteindruck nachteilig verändert, da vom Entstehen eines uneinheitlichen Gesamteindrucks auszugehen ist (vgl. auch AG Konstanz, ZMR 2008 S. 494). Nach dem hier angefochtenen Beschluss sollen die darin genannten Eigentümer lediglich berechtigt, nicht jedoch verpflichtet sein, Balkone in die Ständerkonstruktion einhängen zu lassen. Der anfechtende Kläger beabsichtigt keinen Balkoneinbau, sodass der Gesamteindruck des Fassadenbereichs, wenn auch nur zur Hofseite hin, tatsächlich lückenhaft wird.
  3. Weiterhin wird zumindest ein Wohnungseigentümer unter einem neu geschaffenen Balkon benachteiligt, wenn hier über seinen Wohnungsfenstern ein neuer Balkon entsteht. Dies führt zu einer nicht unerheblichen Verdunkelung seiner Räume. Auch ist mit Mietminderungen durch den entstehenden Baulärm im Zuge der Verankerung des Gerüsts und der vorzunehmenden Mauerdurchbrüche für die Balkontüren zu rechnen. Eingeschränkt wird auch die Nutzbarkeit von Teilen der gemeinschaftlichen Hoffläche.
Anmerkung

Zwischenzeitlich gibt es zum Thema nachträglicher Balkonanbauten als mögliche Modernisierungsmaßnahmen i.S.d. § 22 Abs. 2 WEG recht unterschiedliche Entscheidungen und Wertungen der Gerichte erster und zweiter Instanz. Sinn der neuen Gesetzesregelung in § 22 Abs. 2 WEG ist es, "modernisierenden baulichen Veränderungen" leichter zum Erfolg zu verhelfen als nachteiligen baulichen Veränderungen bzw. Luxusaufwendungen gemäß § 22 Abs. 1 WEG. Jegliche Modernisierungen müssen allerdings den mietrechtlichen Grundsätzen des § 559 Abs. 1 BGB entsprechen oder der Anpassung des Gemeinschaftseigentums an den Stand der Technik dienen, dürfen die Eigenart der Wohnanlage also nicht ändern und zu keiner unbilligen Beeinträchtigung der Eigentümer untereinander führen. Außerdem bedarf eine positive Beschlussfassung der im Gesetz erwähnten doppeltqualifizierten Stimmenmehrheit. Wenn in § 22 Abs. 2 Satz 2 WEG weiterhin geregelt ist, dass die "Befugnis", solche Modernisierungen beschließen zu können, durch Vereinbarung nicht eingeschränkt oder ausgeschlossen werden kann, hat der Gesetzgeber die Regelung als zwingendes Recht ausgestaltet. Damit wäre es m.E. sogar vertretbar, von einer Beschlussnichtigkeit auszugehen (und nicht nur einer Anfechtbarkeit nach derzeit vorherrschender Meinung), wenn das Stimmenquorum im Fall gewollter Modernisierung nicht erreicht sein sollte. Demgegenüber kann eine selbst nachteilige nachträgliche bauliche Veränderung des Gemeinschaftseigentums nach § 22 Abs. 1 WEG sogar mit einfacher Mehrheit beschlossen werden, sollten benachteiligte und damit zustimmungsverpflichtete Eigentümer auf Anfechtung verzichten und sich einer einfachen Mehrheitsentscheidung duldend unterwerfen.

Balkonanbau tatsächlich immer eine Modernisierung?

Wenn nun in der Gesetzesbegründung zur neuen Modernisierungsregelung in § 22 Abs. 2 WEG als Beispielsfälle gerade nachträgliche Balkonanbauten oder die Errichtung von Aufzügen genannt wurden, habe ich hierfür keinerlei Verständnis, da solche "Modernisierungen" kaum im Interesse aller Eigentümer liegen dürften, eher von unbilliger Beeinträchtigung so mancher Eigentümer auszugehen sein dürfte. Durch solche erheblichen Anbaumaßnahmen dürfte tatsächlich im Regelfall auch die Eigenart der Wohnanlage betroffen sein, insbesondere in optisch-ästhetischer Hinsicht ein "anderes Gesicht erhalten". Sinn der Neuregelung kann es aus meiner Sicht nicht sein, allein den Wohnwert einzelner Wohnungen zu erhöhen, wenn dadurch gleichzeitig vielleicht auch nur wenige Eigentümer in Minderheit beeinträchtigt werden. Problematisch ist dies etwa bei vorgesetzten, aufgestelzten neuen Balkonen für die EG-Wohnungseigentümer mit Sondernutzungsrecht an Terrassen oder beim nachträglichen Anbau eines Außenlifts für Eigentümer, die Sichtbeeinträchtigungen erleiden bzw. für Eigentümer von Wohnungen in Unterschossen, die an einer solchen kostenträchtigen Neuanlage überhaupt nicht interessiert sind. Im Anfechtungsfall müssen auch hier die Interessen überstimmter Eigentümer – wenn auch in Minderheit – mitberücksichtigt werden, selbst wenn diese bei gebotener namentlicher Abstimmung von anteiligen Kostenlasten freigestellt werden sollten. Zustimmungen bzw. Anfechtung...

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