Zusammenfassung
Der BGH befasst sich in einem Urteil v. 27.10.2022 (IX ZR 213/21) mit den Anforderungen an die Wirksamkeit insolvenzabhängiger Lösungsklauseln und äußert sich damit zu einer Frage, die in der Rechtsprechung und Literatur höchst umstritten ist.
Sachverhalt
Der spätere Schuldner war Betreiber eines Busunternehmens und wurde von der Beklagten mit der Schülerbeförderung beauftragt. In den Beförderungsverträgen wurde als wichtiger Grund für eine fristlose Kündigung auch der Antrag auf Eröffnung eines Insolvenzverfahrens genannt. Eine ähnliche Klausel befindet sich auch in den Allgemeinen Vertragsbedingungen für die Ausführung von Leistungen (VOL/B 2003), die im Vertrag für nachrangig anwendbar erklärt wurden. Als der Schuldner einen Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens stellte, kündigte die Beklagte mit Verweis auf diese Klausel. Der klagende Insolvenzverwalter des Schuldners hielt die Kündigung für unwirksam und verlangte die Zahlung der vereinbarten Vergütung für die Zeit nach der fristlosen Kündigung.
Das OLG Celle hielt die Lösungsklausel und damit die Kündigung für unwirksam. Der BGH wies die Sache zur neuen Entscheidung an das Berufungsgericht zurück und erläutert, nach welchen Maßstäben die Wirksamkeit von insolvenzabhängigen Klauseln zu bemessen ist.
Hintergrund
Unter den Begriff "insolvenzabhängige Lösungsklausen" fallen Regelungen, die eine Partei zur Auflösung des Vertrages berechtigen bzw. Verträge automatisch enden lassen, wenn entweder ein Insolvenzgrund vorliegt oder ein Insolvenzantrag gestellt wird bzw. ein Insolvenzverfahren über das Vermögen einer Vertragspartei eröffnet wird.
Für die Beurteilung solcher Klauseln sind hauptsächlich zwei Normen der Insolvenzordnung relevant; das Wahlrecht des Insolvenzverwalters nach § 103 InsO sowie die Unwirksamkeit abweichender Vereinbarungen nach § 119 InsO:
Gemäß § 103 InsO hat der Insolvenzverwalter das Entscheidungsrecht über die Fortführung von gegenseitigen Verträgen, soweit die Leistung von beiden Parteien noch nicht oder nicht vollständig erfüllt wurde. Der Insolvenzverwalter kann dann wählen, ob der Vertrag erfüllt werden soll oder nicht. Einschränkungen erfährt dieses Wahlrecht insbesondere bei Miet-, Pacht und Dienstverhältnissen (§§ 108 ff., 113 InsO).
Gemäß § 119 InsO sind Vereinbarungen unwirksam, die im Voraus die Anwendung der §§ 103 bis 118 InsO ausschließen. Jedenfalls verboten sind vertragliche Regelungen, die die gesetzlichen Vorschriften unmittelbar außer Kraft setzen. Ob die Vorschrift zu einer generellen Unwirksamkeit von insolvenzabhängigen Lösungsklauseln führt, die das Wahlrecht des Verwalters nur mittelbar aushöhlen, ist seit vielen Jahren in Rechtsprechung und Literatur umstritten.
Für eine Unwirksamkeit solcher Klauseln sprechen der Schutz der Insolvenzmasse und der Erhalt der Sanierungschancen eines Unternehmens. Je mehr günstige Verträge von Geschäftspartnern des Insolvenzschuldners gekündigt werden, desto geringer ist die Wahrscheinlichkeit einer erfolgreichen Sanierung.
In einem Grundsatzurteil aus dem Jahr 2012 (BGH, Urteil v. 15.11.2012, IX ZR 169/11) hatte der für das Insolvenzrecht zuständige IX. Zivilsenat des BGH eine grobe Linie vorgegeben. So hieß es, dass "Lösungsklauseln in Verträgen über die fortlaufende Lieferung von Waren oder Energie, die an den Insolvenzantrag oder die Insolvenzeröffnung anknüpfen", unwirksam seien. Sie höhlten die Wahlmöglichkeiten des Insolvenzverwalters nach § 103 InsO aus und stellten so einen Verstoß gegen § 119 InsO dar. Eine Ausnahme formulierte das Gericht für den Fall, dass bereits das Gesetz eine Lösungsmöglichkeit vorsieht, die der insolvenzabhängigen Lösungsklausel entspricht. Die Reichweite dieses Urteils wurde eingehend diskutiert. So sahen einige Autoren darin einen allgemeinen Grundsatz, während andere die Bedeutung des Urteils auf Lieferverträge über Waren oder Energie begrenzten.
Seitdem sprach sich der für das Baurecht zuständige VII. Zivilsenat des BGH in Bezug auf Bauverträge gegen eine Verallgemeinerung aus (BGH, Urteil v. 7.4.2016, VII ZR 56/15), da sich die infragestehenden Bestimmungen aus den VOB/B 2009 "eng an eine gesetzliche Lösungsklausel anlehn[en]" (§ 649 Satz 1 BGB a.F. bzw. § 648 Satz 1 BGB n.F.) und das vertragliche Lösungsrecht der "besonderen Interessenlage der an einem Bauvertrag Beteiligten" entspricht.
Das OLG Celle als Berufungsgericht setzte sich in Widerspruch zum Urteil des VII. Zivilsenats.
Entscheidung des BGH
Der Insolvenzsenat des BGH hob das Berufungsurteil auf und wies die Sache an das OLG Celle zurück. Einen Grundsatz, wonach insolvenzabhängige Klauseln generell unwirksam seien, vermag der Senat nicht zu erkennen. Eine insolvenzabhängige Lösungsklausel sei nur unwirksam, wenn ihr Zweck sich bei objektiver Betrachtung der wechselseitigen Interessen der Parteien darauf beschränke, eine Partei vom Vertrag zu befreien und somit das Verwalterwahlrecht zu vereiteln, ohne dass es bei Vertragsschluss berechtigte Gründe für eine Lösungsmöglich...