Rz. 41
Hinsichtlich der Rechtsfolgen eines Verstoßes gegen § 12 EFZG ist zwischen arbeitsvertraglichen Abweichungen auf der einen und kollektivvertraglichen Abweichungen (durch Tarifvertrag oder betriebliche Regelungen) auf der anderen Seite zu unterscheiden.
3.1 Einzelvertragliche Abweichungen
Rz. 42
Sind in einer einzelvertraglichen Entgeltfortzahlungsregelung ausschließlich Bestimmungen enthalten, die gegen das Unabdingbarkeitsverbot des § 12 EFZG verstoßen, so sind diese Vereinbarungen nichtig. Dies ergibt sich aus § 134 BGB.
Rz. 43
Enthält der Einzelarbeitsvertrag jedoch sowohl günstigere als auch ungünstigere Regelungen, so erstreckt sich die Nichtigkeit grundsätzlich nur auf die ungünstigeren Regelungen. Es werden diese nichtigen Vereinbarungen (aber auch nur diese) durch die entsprechende gesetzliche Vorgabe ersetzt.
Nach dem Arbeitnehmerschutzgedanken, der das Arbeitsrecht durchzieht, werden so prinzipiell lediglich die ungünstigeren Vorschriften ausgetauscht; die günstigeren bleiben daneben bestehen. Anders als in § 139 BGB vorgesehen, werden hier also die günstigeren Regelungen von der Anordnung der Nichtigkeit nicht erfasst.
Rz. 44
Lediglich dann, wenn nicht anzunehmen ist, dass die Parteien die günstigeren Bestimmungen auch ohne die unwirksamen (also: ungünstigeren) Regelungen vereinbaren wollten, oder für den Fall, dass nicht näher erkennbar ist, ob und welche Bestimmungen gegenüber dem EFZG als günstiger anzusehen sind, ist die gesamte Regelung (einschließlich der günstigeren Bestimmungen) nach § 139 BGB nichtig. Diese Norm ist Ausfluss der Privatautonomie und soll verhindern, dass den Parteien anstelle des von ihnen gewollten Rechtsgeschäfts ein Geschäft mit anderem Inhalt aufgedrängt wird.
Eine gesetzeskonforme Auslegung der abweichenden (also ungünstigeren) Bestimmungen scheidet aus, weil das Gesetz stets hilfsweise zur Anwendung kommt.
3.2 Kollektivvertragliche Abweichungen
Rz. 45
Enthält ein Tarifvertrag, eine Betriebsvereinbarung oder eine bindende Festsetzung ausschließlich Regelungen, die gegen § 12 EFZG verstoßen, so ist die Vereinbarung nach § 134 BGB insgesamt nichtig.
Rz. 46
Enthält eine kollektivrechtliche Vereinbarung teils günstigere und teils ungünstigere Regelungen als das Gesetz, so gilt Folgendes: Grundsätzlich ist § 139 BGB hier nicht anwendbar, weil dieser nur für Rechtsgeschäfte gilt und auf kollektivrechtliche Vereinbarungen wegen ihres Normencharakters nicht anwendbar ist. Es gelten deshalb hier die gleichen Regeln wie bei der Nichtigkeit einzelner gesetzlicher Vorschriften: Danach beschränkt sich die Nichtigkeit grundsätzlich auf die dem EFZG widersprechenden ungünstigeren Bestimmungen des Tarifvertrags oder der Betriebsvereinbarung.
Rz. 47
Lediglich dann, wenn die übrigen (gültigen) Bestimmungen ohne die nichtigen ihren Sinn verlieren oder aber offensichtlich ohne die nichtigen nicht vereinbart worden wären (etwa weil sie allein keine eigene rechtliche oder wirtschaftliche Bedeutung haben), erstreckt sich die Nichtigkeit auf alle zusammenhängenden Normen des Kollektivvertrags. An die Stelle der nichtigen Bestimmungen treten die entsprechenden Vorschriften des EFZG.
3.3 Darlegungs- und Beweislast
Rz. 48
Im Streitfall gilt grundsätzlich auch hier der das Zivilrecht beherrschende Grundsatz, dass die tatsächlichen Umstände, die zur Teilnichtigkeit einzelvertraglicher Regelungen führen, derjenige beweisen muss, der sich auf sie beruft. Ebenso muss derjenige, der sich auf die eigenständige Gültigkeit der günstigeren Regelungen (und damit auf deren Fortgeltung) beruft, darlegen und beweisen, dass die Parteien diese Regelungen auch ohne die nichtigen wollten bzw. diese Regelungen eigenständig sinnhaft sind.
Rz. 49
Hinsichtlich der Frage, ob kollektivrechtliche Regelungen lediglich teilweise oder gänzlich nichtig sind, gilt Ähnliches: Auch hier trägt diejenige Partei, die sich auf die Gültigkeit der wirksamen Teile beruft, die Darlegungs- und Beweislast.