Kommentar
Bei dem Verfahren ging es um die Frage, ob für einen zwischenunternehmerischen Umsatz in einem Reihengeschäft, der als steuerfrei behandelt wurde, Umsatzsteuer nacherhoben werden kann, wenn für den anschließenden Umsatz auf der Letztverbrauchsstufe der leistende Unternehmer die Steuer abgeführt hat und die Steuer auch vom Endverbraucher wirtschaftlich getragen worden ist.
Der Gerichtshof hat das Verfahren nicht durch ein Urteil, sondern durch einen Beschluss entschieden (Artikel 103 § 3 der Verfahrensordnung des EuGH, ABl. EG 2001 Nr. C 34/1). Stimmt eine zur Vorabentscheidung vorgelegte Frage mit einer Frage überein, über die der Gerichtshof bereits entschieden hat, oder kann die Antwort auf eine solche Frage klar aus der Rechtsprechung abgeleitet werden oder lässt die Antwort auf die Frage keinen Raum für vernünftige Zweifel, kann der Gerichtshof durch Beschluss entscheiden, der mit Gründen zu versehen ist und gegebenenfalls auf das frühere Urteil oder auf die betreffende Rechtsprechung verweist.
Der EuGH hat entschieden, dass für den Fall, dass eine innergemeinschaftliche Lieferung nicht die Voraussetzungen der Streuerbefreiung erfüllt, eine Besteuerung, ggf. auch nachträglich, möglich ist. Dies steht nicht im Widerspruch zu dem Grundsatz, dass das gemeinsame Mehrwertsteuersystem die Neutralität der Besteuerung aller mehrwertsteuerpflichtigen wirtschaftlichen Aktivitäten unabhängig von ihrem Zweck oder ihren Ergebnissen dadurch sicherstellt, dass der Unternehmer über den Vorsteuerabzug von den auf seinen Eingangsumsätzen lastende Steuer entlastet wird.
Die Frage, ob die Mehrwertsteuer auf den späteren Verkauf der betreffenden Gegenstände an den Endverbraucher an den Fiskus abgeführt wurde, ist in diesem Zusammenhang ohne Belang. Die Mehrwertsteuer ist auf jeden durch Produktion oder Vertrieb bewirkten Umsatz anzuwenden, abzüglich der Mehrwertsteuer, die die verschiedenen Kostenelemente bis zur Einzelhandelsstufe unmittelbar belastet hat (Vorsteuerabzug).
Daher ist es nach dem Urteil grundsätzlich Sache der Mitgliedstaaten, innerhalb der durch das Gemeinschaftsrecht vorgegebenen Grenzen die Bedingungen für die nachträgliche Erhebung der Mehrwertsteuer durch ihre Steuerverwaltungen festzulegen.
Diese Maßnahmen, die die Mitgliedstaaten gemäß Artikel 22 Abs. 8 der 6. EG-Richtlinie zur Sicherstellung der genauen Erhebung der Steuer und zur Vermeidung der Steuerhinterziehung ergreifen können, dürfen aber nicht über das zur Erlangung dieser Ziele erforderliche Maß hinausgehen. Außerdem ergibt sich aus der bisherigen Rechtsprechung des EuGH eindeutig, dass das Gemeinschaftsrecht die Mitgliedstaaten nicht daran hindert, die Ausstellung nicht ordnungsgemäßer Rechnungen als versuchte Steuerhinterziehung zu behandeln und in solchen Fällen die in ihrem innerstaatlichen Recht vorgesehenen Bußgelder oder Strafzuschläge zu verhängen. Demzufolge schließt der Grundsatz der Neutralität des gemeinsamen Mehrwertsteuersystems die nachträgliche Erhebung der Mehrwertsteuer bei einem Unternehmer, der eine Lieferung von Gegenständen in der Rechnung zu Unrecht als steuerfrei ausgewiesen hat, nicht aus. Ob die Mehrwertsteuer auf den späteren Verkauf der betreffenden Gegenstände an den Endverbraucher an die Staatskasse abgeführt wurde, ist in diesem Zusammenhang nicht von Belang.
Die Entscheidung ist nachvollziehbar. Ein Absehen von der Nachversteuerung im Streitfall aufgrund der auf der Endverbrauchsstufe vorgenommenen Belastung würde vom Grundsatz her bedeuten, dass die Besteuerung zwischenunternehmerischer Umsätze aufgegeben wird. Im Übrigen könnten auch zum Beispiel in Fällen von Ausfuhrlieferungen Nachversteuerungen nicht mehr stattfinden, wenn die Ausfuhrnachweise nicht erbracht werden. Auch in solchen Fällen wird über die Einfuhrbesteuerung in dem Bestimmungsstaat die Belastung auf der Endverbrauchsstufe hergestellt. Auch andere Fälle von Nachversteuerungen (zum Beispiel Normalsteuersatz statt ermäßigter Steuersatz, Besteuerung von steuerfrei behandelten Inlandsumsätzen) wären nicht mehr möglich.
Beteiligte: Transport Service NV
Link zur Entscheidung
EuGH, Beschluss vom 03.03.2004, C-395/02