LfSt Bayern v. 26.5.2006, S 0335 - 3 St 41 M
1. Allgemeine Grundsätze zur Schätzung bei der Nichtabgabe von Steuererklärungen
Das FA hat zu schätzen, soweit es die Besteuerungsgrundlagen nicht ermitteln oder berechnen kann (§ 162 Abs. 1 Satz 1 AO). Ziel jeder Schätzung ist es, die Besteuerungsgrundlagen, die die größte Wahrscheinlichkeit für sich haben, zu ermitteln und bei der Steuerfestsetzung zu berücksichtigen (BFH vom 19.1.1993, VIII R 128/84, BStBl 1993 II S. 594). Die Schätzung soll insgesamt in sich schlüssig, wirtschaftlich vernünftig und möglich sein. Dabei ist aber zu beachten, dass ein Steuerpflichtiger bei schuldhafter Verletzung seiner Mitwirkungspflichten nicht besser gestellt werden darf als derjenige, der seinen Pflichten in vollem Umfang nachkommt. Sind daher die Besteuerungsgrundlagen zu schätzen, weil der Steuerpflichtige trotz Erinnerung die Pflicht zur Abgabe von Steuererklärungen in grober Weise verletzt, verringert sich die Verpflichtung zur Sachverhaltsaufklärung. Dies führt zu einer Vergrößerung des Schätzungsrahmens, innerhalb dessen die Schätzung vorgenommen werden kann.
Berücksichtigung bereits bekannter Sachverhalte
Erkenntnisse aus den Vorjahren, Kontrollmitteilungen, Mitteilungen über einheitliche und gesonderte Feststellungen, Veräußerungsmitteilungen, substantiierte Hinweise von dritter Seite, die gesonderte Verlustfeststellung nach § 10d Abs. 4 EStG, Gewerbean- und abmeldungen etc. sind auch im Rahmen der Schätzung zu berücksichtigen. Ebenso sind, soweit vorhanden, ab dem Veranlagungszeitraum 2004 die Einnahmen aus nichtselbständiger Arbeit sowie die anrechenbaren Lohnsteuerabzugsbeträge aus der elektronischen Lohnbescheinigung aus dem bundesweiten Lohndatenspeicher anzusetzen, insoweit besteht keine Schätzungsbefugnis.
Keine Strafschätzungen (Schätzung ist keine Maßnahme zur Betreibung von Steuererklärungen)
Das FA kann an die obere Grenze des Schätzungsrahmens gehen, wenn ein Steuerpflichtiger trotz mehrfacher Aufforderung seine Steuererklärung nicht abgegeben hat und dadurch seine Mitwirkungspflichten grob fahrlässig bzw. vorsätzlich verletzt hat. Allerdings sind keine Strafschätzungen zulässig. Schätzungen sind auch kein Druckmittel, um den Steuerpflichtigen zur Abgabe der Steuererklärung zu veranlassen. Hierfür sind nach der AO die Festsetzung von Verspätungszuschlägen und das Zwangsmittelverfahren vorgesehen. Insbesondere von der Möglichkeit der Zwangsgeldandrohung und -festsetzung ist in geeigneten Fällen verstärkt Gebrauch zu machen.
Abfrage im Erhebungsspeicher/Kontaktaufnahme mit der Vollstreckungsstelle vor Durchführung der Schätzung
Vor Durchführung der Schätzung ist in jedem Fall eine Abfrage im Erhebungsspeicher durchzuführen (O-Abfrage). In Fällen, in denen der Steuerpflichtige bereits erhebliche Steuerrückstände hat, ist zur Vermeidung des Entstehens weiterer, nicht beitreibbarer Steuerrückstände vor Erlass des Schätzungsbescheids Kontakt mit der Vollstreckungsstelle aufzunehmen (telefonisch bzw. mit Hilfe der Vorlage „Anfrage Besteuerungsgrundlagen Vollstr” im Ordner Veranlagung/Anforderung Steuererklärung), um dort Informationen über die gegenwärtige Vermögenslage einzuholen. Stellt sich dabei heraus, dass schon die bereits bestehenden Rückstände wahrscheinlich innerhalb eines überschaubaren Zeitraums im Wesentlichen nicht beitreibbar sein werden, sollte sich die Schätzung möglichst an der unteren Grenze des Schätzungsrahmens bewegen. Verfügt die Vollstreckungsstelle über weitere Erkenntnisse, die für die Schätzung von Bedeutung sind (z.B. Einstellung des Gewerbebetriebs, aber bisher unterlassene Gewerbeabmeldung), teilt sie diese den Veranlagungsstellen mit.
Schätzungen grundsätzlich unter dem Vorbehalt der Nachprüfung
Veranlagungen, bei denen die Besteuerungsgrundlagen wegen Nichtabgabe von Steuererklärungen geschätzt werden müssen, sind grundsätzlich unter dem Vorbehalt der Nachprüfung (§ 164 Abs. 1 AO) durchzuführen. Nur so kann regelmäßig sichergestellt werden, dass spätere Erkenntnisse aus dem Vollstreckungsverfahren bei der Steuerfestsetzung noch Berücksichtigung finden können. Eine etwa notwendige Vollstreckung bitte ich in diesen Fällen unverzüglich einzuleiten. Bei einer Schätzung der Umsatzsteuer ist der Vorbehalt der Nachprüfung als überwachungswürdig zu kennzeichnen.
Endgültige Schätzungsveranlagungen kommen nur ausnahmsweise dann noch in Betracht, wenn ganz gesicherte Schätzungsgrundlagen vorliegen sollten.
Aufhebung des Vorbehalts bei der nächsten Veranlagung
Der Vorbehalt der Nachprüfung ist grundsätzlich erst dann aufzuheben, wenn die Steuerfestsetzung/Feststellung für den folgenden Veranlagungszeitraum durchgeführt wird. Dabei sollte die Vorbehaltsveranlagung nochmals nach Aktenlage auf evtl. Fehler hin überprüft werden. Ebenso sind die in einem eventuellen Vollstreckungsverfahren gewonnenen Erkenntnisse zu berücksichtigen (vgl. AEAO zu § 162, Nr. 4). Bei einer Umsatzsteuerfestsetzung genügt es nicht, den Merker zur Überwachung des Vorbehalts der Na...