Leitsatz
Die Art. 56 EG und 58 EG sind dahin auszulegen, dass sie einer Regelung eines Mitgliedstaats wie der im Ausgangsverfahren fraglichen nicht entgegenstehen, nach der bei der Berechnung der Erbschaftsteuer, die von einem Erben mit Wohnsitz in diesem Mitgliedstaat auf Kapitalforderungen gegen ein in einem anderen Mitgliedstaat ansässiges Finanzinstitut geschuldet wird, die in dem anderen Mitgliedstaat entrichtete Erbschaftsteuer auf die im erstgenannten Mitgliedstaat geschuldete Erbschaftsteuer nicht angerechnet wird, wenn der Erblasser zum Zeitpunkt seines Ablebens seinen Wohnsitz im erstgenannten Mitgliedstaat hatte.
Normenkette
Art. 56 Abs. 1, Art. 58 Abs. 1 Buchst. a und Abs. 3 EG, Art. 73b Abs. 1, Art. 73d Abs. 1 Buchst. a und Abs. 3 EGV, § 21 Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 1 ErbStG, § 121 BewG
Sachverhalt
Die zuletzt im Inland wohnende Erblasserin hatte ihr Kapitalvermögen bei Banken sowohl im Inland als auch im Ausland angelegt. Das FA weigerte sich, die für den Erwerb des Bankguthabens in Spanien gezahlte dortige ErbSt bei der Festsetzung der deutschen ErbSt auf den Gesamterwerb anzurechnen. Es zog sie lediglich wie eine Nachlassverbindlichkeit von der Bemessungsgrundlage ab. Die Alleinerbin beharrte auf dem Abzug von der deutschen ErbSt und beschritt den Rechtsweg.
Der BFH setzte das Revisionsverfahren aus und legte dem EuGH die Frage vor, ob die Regelungen zur Kapitalverkehrsfreiheit dahin auszulegen seien, dass die spanische ErbSt auf die deutsche ErbSt angerechnet werden müsse (BFH, Beschluss vom 16.01.2008, II R 45/05, BFH/NV 2008, 690, BFH/PR 2008, 214).
Entscheidung
Der EuGH entschied, dass die Kapitalverkehrsfreiheit der Versagung der Anrechnung der spanischen auf die deutsche ErbSt nicht entgegenstehe.
Hinweis
Der EuGH stellt zunächst fest, dass es sich im Streitfall nicht um einen reinen innerstaatlichen Sachverhalt handelt und dass folglich ein Kapitalverkehr i.S.d. Art. 56 Abs. 1 EG betroffen ist. Sodann hebt er hervor, dass bei der Berechnung der deutschen ErbSt vor der vergeblich geltend gemachten Anrechnung der ausländischen Steuer kein Unterschied danach gemacht wird, ob das Kreditinstitut, gegen das sich die geerbte Kapitalforderung richtet, in Deutschland oder in einem anderen Mitgliedstaat ansässig ist.
Anschließend folgen die entscheidenden Sätze: "Das Gemeinschaftsrecht schreibt bei seinem gegenwärtigen Entwicklungsstand und in einer Situation wie der des Ausgangsverfahrens in Bezug auf die Beseitigung der Doppelbelastung innerhalb der Europäischen Gemeinschaft keine allgemeinen Kriterien für die Kompetenzverteilung zwischen den Mitgliedstaaten vor. … Daraus folgt, dass die Mitgliedstaaten beim gegenwärtigen Entwicklungsstand des Gemeinschaftsrechts vorbehaltlich dessen Beachtung über eine gewisse Autonomie in diesem Bereich verfügen und deshalb nicht verpflichtet sind, ihr eigenes Steuersystem den verschiedenen Steuersystemen der anderen Mitgliedstaaten anzupassen…"
Schließlich untersucht der EuGH noch, ob sich etwas anderes aus der Tatsache ergeben könnte, dass die Erbin besser gefahren wäre, wenn die Erblasserin ihren letzten Wohnsitz nicht in Deutschland, sondern in einem anderen Mitgliedstaat gehabt hätte, weil die streitbefangene Kapitalforderung dann nach § 21 Abs. 2 Nr. 2 ErbStG Auslandsvermögen gewesen wäre. Der EuGH misst diesem Umstand keine Bedeutung bei, weil sich Deutschland noch im Rahmen seiner Besteuerungsbefugnis hält, wenn es bei der Frage "Auslands- oder Inlandsvermögen" an den Wohnsitz des Gläubigers anknüpft.
Link zur Entscheidung
EuGH, Urteil vom 12.02.2009, C-67/08