Rz. 20
Ein offener Widerspruch zwischen individueller Vereinbarung und AGB wird nicht verlangt; vielmehr reicht jede inhaltliche Abweichung.
Rz. 21
Vielfach wird zwischen einem unmittelbaren (logischen) und einem mittelbaren (wirtschaftlichen) Widerspruch unterschieden. Die Unterscheidung bringt aber wenig.
I. Widerspruch anhand der Auslegung
Rz. 22
Ein solcher Widerspruch muss sich anhand der Auslegung von formularmäßiger und individueller Vereinbarung ergeben.
Letztere muss folglich wirksam sein. Sie darf also nicht etwa nach §§ 134, 138 oder § 142 Abs. 1 BGB nichtig sein, muss die gehörige Form wahren und darf nicht durch einen Vertreter ohne Vertretungsmacht abgeschlossen sein. Sie darf auch nicht wegen des sog. Summierungseffekts unwirksam sein. Einen solchen können formularmäßige und individuelle Vereinbarung, obwohl beide für sich unbedenklich sind, mit der Folge bewirken, dass wegen § 139 BGB auch die individuelle Vereinbarung unwirksam ist. Allerdings gilt dies nur, wenn beide gleichzeitig getroffen worden sind, nicht auch, wenn die individuelle Vereinbarung nachfolgt.
Rz. 23
Die Rechtsfolgen aus der Nichtigkeit der individuellen Vereinbarung sind umstritten. Es wird vertreten, dass nach § 305b BGB die AGB, soweit ihrerseits wirksam, an deren Stelle treten, sofern nicht die Individualvereinbarung ergibt, dass bei ihrer Nichtigkeit keinesfalls AGB gelten sollen; im letzteren Fall gilt das dispositive Recht. Nach anderer Auffassung entscheidet grundsätzlich der Parteiwille über die subsidiäre Geltung der AGB.
Rz. 24
Die AGB müssen in den Vertrag einbezogen und wirksam sein, denn sonst stellt sich das Problem nicht (siehe hierzu auch oben Rdn 12). Wie auch bei der Inhaltskontrolle muss ihre Auslegung am Anfang stehen, denn generell kann man mit AGB nur arbeiten, wenn man zuvor deren Inhalt exakt festgestellt hat, der auch vom Wortlaut abweichen kann.
II. Unerhebliche Faktoren
Rz. 25
Unerheblich ist, ob dispositives Recht zu der Frage existiert, die AGB und individuelle Vereinbarung regeln wollen.
Unerheblich ist auch, ob die Parteien eine Änderung der AGB beabsichtigt haben oder sich der Kollision zwischen individueller Vereinbarung und AGB zumindest bewusst gewesen sind.
III. Beispiele
1. Leistungspflichten des Verwenders
a) Lösungsklauseln
Rz. 26
Individualvertraglich beschriebene Lieferfristen haben Vorrang vor AGB mit dem Inhalt "Lieferung freibleibend" oder "Selbstbelieferung vorbehalten". In solchen Klauseln liegt der größte Verstoß gegen die individuell vereinbarte Bindung an den Vertrag.
b) Änderung der Hauptleistungspflicht
Rz. 27
Die individuelle (auch stillschweigend getroffene) Vereinbarung, wonach nur Markenware bestimmter Hersteller geliefert werden darf, hat Vorrang vor AGB, wonach auch gleichwertige Markenware eines anderen Herstellers geliefert werden darf. Dasselbe gilt für sonstige Änderungs- oder Ersetzungsvorbehalte bezüglich der Hauptleistungen und für abweichende Beschreibungen der Hauptleistung. Unwirksam sind auch Freiwilligkeitsvorbehalte, soweit sie bereits laufende Leistungen einbeziehen.
Rz. 28
Risikoausschlüsse, die im individuellen Versicherungsvertrag vereinbart sind, haben Vorrang vor denjenigen in den AVB, und zwar auch dann, wenn erstere weiter gehen als letztere, die individuelle Vereinbarung also zum Nachteil des Versicherungsnehmers getroffen ist.
c) Eigenschaften der Kauf- oder Mietsache
Rz. 29
Umstritten ist, inwieweit individuelle Beschaffenheitsvereinbarungen (früher: Zusicherung von Eigenschaften) Vorrang vor formularmäßigen Haftungsausschlüssen mit der Folge haben, dass der Verwender für die Beschaffenheit einstehen muss.
Rz. 30
Der Bundesgerichtshof hat bislang der individualvertraglichen Zusicherung von Eigenschaften den Vorrang vor Freizeichnungsklauseln nur eingeräumt, sofern die Zusicherung bezweckte, den Käufer vor Mangelfolgeschäden abzusichern. Er hat dazu in erster Linie die Überlegung angestellt, dass der Verwender dem Käufer die Rechte aus der Zusicherung mit der Klausel in den AGB wieder wegnehmen würde. Er hat weiter angenommen, dass eine individuell vereinbarte Verpflichtung des Verkäufers zur Beseitigung bestimmter Mängel beim Gebrauchtwagen den AGB vorgeht, wonach er für Mängel nicht haften soll. Es wird auch angenommen, dass eine Formularklausel, die eine Mietminderung wegen eines Mangels der Mietsache beschränkt, auf Mängel u...