Gesetzestext
Individuelle Vertragsabreden haben Vorrang vor Allgemeinen Geschäftsbedingungen.
A. Allgemeines
I. Inhalt der Regelung
Rz. 1
Die Vorschrift regelt das Verhältnis zwischen individuellen Vereinbarungen und vorformulierten Bedingungen, die eine Partei der anderen bei Vertragsabschluss stellt. Sie räumt Ersteren den Vorrang ein. Sie bewirkt auch, dass der Anwendungsbereich der AGB von der Reichweite und der Auslegung der individuellen Vereinbarung abhängt und nicht umgekehrt.
Rz. 2
Die Vorschrift entspricht wörtlich § 4 AGBG. Schon vor dem AGBG war aber in der Rechtsprechung anerkannt, dass individuelle Vereinbarungen durch AGB nicht geändert oder gar ausgehöhlt werden dürfen.
Rz. 3
Die Vorschrift greift im Allgemeinen ein, wenn die Auslegung der individuellen Vereinbarung und die der AGB einen Widerspruch ergeben. Zusätzliche Bestimmungen zum Schutz der individuellen Vereinbarungen finden sich in den §§ 308 und 309 BGB, etwa § 308 Nr. 4 BGB und § 309 Nr. 1 BGB.
Rz. 4
Es wird aber vertreten, dass es AGB gibt, die die individuellen Vereinbarungen konkretisieren, insbesondere Anhaltspunkte für deren Auslegung mit der Folge liefern, dass ihnen der Inhalt zuerkannt wird, wie er mit der Regelung in den AGB in Einklang steht. Dann sind beide nebeneinander gültig.
Rz. 5
Die Vorschrift wird als Auslegungsregel, als gesetzliche Begründung eines Rangverhältnisses oder als gesetzliche Voraussetzung für die Einbeziehung von AGB in den Vertrag angesehen. Der Streit hierüber ist ohne praktische Konsequenzen.
II. Sinn und Zweck (gesetzgeberische Rechtfertigung)
Rz. 6
Individuelle Vereinbarungen haben wegen ihres Bezugs auf den Einzelfall einen stärkeren Geltungsanspruch. Es widerspricht dem realen oder hypothetischen Parteiwillen, AGB zum Vertragsbestandteil werden zu lassen, wenn sie im Gegensatz zu einer individuell getroffenen Vereinbarung stehen. Im Übrigen sind abstrakt vorformulierte Verträge von vorneherein auf Ergänzung durch individuelle Vereinbarung angelegt und sollen deshalb nur gelten, soweit Letztere dafür noch Raum lassen.
B. Anwendungsbereich
I. Nach der Art der Beteiligten
Rz. 7
Die Vorschrift gilt auch für AGB, die gegenüber einem Unternehmer, einer juristischen Person des öffentlichen Rechts oder einem öffentlich-rechtlichen Sondervermögen verwendet werden. Dies folgt schon aus § 310 Abs. 1 S. 1 BGB, der § 305b BGB nicht nennt.
II. Nach der Art der betroffenen AGB
Rz. 8
Die Vorschrift gilt nicht für sog. Einmalklauseln i.S.v. § 310 Abs. 3 Nr. 2 BGB. Hier treten an ihre Stelle die allgemeinen Grundsätze der Rechtsgeschäftslehre über Vertragsschluss und Vertragsauslegung.
III. Nach der Art der betroffenen individuellen Erklärung
Rz. 9
Die Vorschrift gilt auch für Vertragsangebote. Dies ist insbesondere für AGB wichtig, wonach Angebote des Verwenders unverbindlich sein sollen. Eine derartige Klausel ist ohne Weiteres unwirksam.
Rz. 10
Die Vorschrift gilt auch für sonstige einseitige Willenserklärungen oder Rechtshandlungen des Verwenders. Demgemäß haben individuelle Erklärungen im Vertragsangebot über das Zustandekommen des Vertrags Vorrang vor Abschlussklauseln in den AGB des Antragenden. Ebenso ist die mündliche Einschränkung einer formularmäßig uneingeschränkt erteilten Vollmacht wirksam.
Rz. 11
Indessen können nicht nur einseitige individuelle Rechtshandlungen des Verwenders zum Inhalt seiner AGB in Widerspruch stehen. Vielmehr kann auch sein Verhalten im Rahmen von Vertragsverhandlungen beim Kunden bestimmte Vorstellungen hervorrufen, die vom objektiven Inhalt der AGB abweichen. Bringen etwa die Parteien bei den Vertragsverhandlungen zum Ausdruck, dass sie eine bestimmte Klausel anders verstehen, als es deren objektivem Sinn entspricht, so wird man eine von den AGB abweichende stillschweigende Individualvereinbarung annehmen müssen. Auch kann aus dem Geschehensablauf bis zur Annahme des Angebots eine konkludente Individualabrede mit Vorrang vor AGB abgeleitet werden.
IV. Verhältnis zu anderen Vorschriften
Rz. 12
Es wird vertreten, dass § 305b BGB gegenüber § 305 Abs. 2, Abs. 3 BGB und § 305c Abs. 1 BGB nachrangig ist, denn wenn eine Klausel nicht wirksam in den Vertrag einbezogen wurde, könne auch kein Widerspruch zu einer individuellen Vereinbarung entstehen. Für das Verhältnis zur Inhaltskontrolle gemäß §§ 307 bis 309 BGB ist dies offengeblieben. Diese Vorschriften regeln aber auch einige typische Fälle, in denen ein Widerspruch zwischen AGB und individuellen Vereinbarungen auftreten kann (insb. §§ 308 Nr. 4 und 309 Nr. 1 BGB). Nach anderer Auffassung steht § 305b BGB im Gleichrang mit den genannten Vorschrifte...