I. Abs. 1
Rz. 2
Abs. 1 wird vielfach als negative Einbeziehungsvoraussetzung angesehen. Die Norm setze voraus, dass auch die überraschende Klausel Vertragsbestandteil geworden sei. Dem ist nicht zu folgen. Die Anwendung des § 305c Abs. 1 BGB setzt nicht voraus, dass eine wirksame Einbeziehung erfolgt ist. Der Richter muss also nicht etwa eine Beweisaufnahme hierüber durchführen, wenn kein Zweifel an dem Vorliegen einer überraschenden Klausel besteht. Er kann die Einbeziehung offenlassen. Es ist wohl auch nicht richtig, eine überraschende Klausel als einbezogen anzusehen, um in einem nächsten gedanklichen Schritt zu erklären, diese sei wegen Überraschung nicht Vertragsbestandteil geworden. Überraschende Klauseln werden von vorneherein nicht Vertragsbestandteil.
Rz. 3
Ebenfalls kann das Vorliegen von AGB zweifelhaft sein. Die Unklarheitenregelung des § 305c Abs. 2 BGB gilt nur, wenn überhaupt AGB vorliegen. AGB sind von unverbindlichen Erklärungen abzugrenzen. Dies ist nach dem Grundsatz objektiver Auslegung zu ermitteln.
Rz. 4
Nachdem AGB im Regelfall nicht gelesen werden, bezieht sich das Einverständnis des Kunden nur auf Klauseln mit denen zu rechnen war, nicht jedoch auf Klauseln, die so ungewöhnlich sind, dass der Kunde hiermit nicht zu rechnen brauchte. Derartig überraschende Klauseln werden nicht Vertragsbestandteil.
Rz. 5
Die Ungewöhnlichkeit der Klausel kann sich aus verschiedenen Umständen ergeben: Sie kann objektiv inhaltlich ungewöhnlich sein; sie kann für den Kunden subjektiv ungewöhnlich sein und schließlich, ein Überraschungseffekt kann sich aus der Stellung der Klausel im Gesamtwerk der AGB ergeben. Dies ist etwa der Fall, wenn sie in einem systematischen Zusammenhang steht, in dem der Vertragspartner sie nicht zu erwarten braucht.
Rz. 6
Überraschend in den überwiegenden Fällen ist eine Klausel, wenn zwischen dem Klauselinhalt und den berechtigten Erwartungen des Kunden eine erhebliche Diskrepanz besteht und der Klausel ein Überraschungseffekt (Überrumpelungseffekt) anhaftet. Der Kunde braucht mit der Klausel nicht zu rechnen, sei es dass diese objektiv ungewöhnlich ist, im Hinblick auf die Kundenerwartungen ungewöhnlich ist oder in der Systematik des Vertrags an völlig unerwarteter Stelle steht. "Überraschenden Charakter hat eine Klausel, wenn sie von den Erwartungen eines vertragstypischen Durchschnittskunden deutlich abweicht und dieser mit ihr den Umständen nach vernünftigerweise nicht zu rechnen braucht."
Rz. 7
Zugunsten des Kunden sind hier auch Umstände außerhalb der Klausel zu berücksichtigen, wie Werbung, Gang der Verhandlung, autonom gesetzter Vertragszweck u.v.m. Dies ergibt sich hier aus dem klaren Wortlaut der Bestimmung und der Systematik, dass für Konsens und Dissens nach der Rechtsgeschäftslehre nach §§ 145 ff. BGB ebenfalls die Umstände außerhalb der Klausel relevant sind. Gerade dies ist ja Ausgangspunkt für § 305c Abs. 1 BGB. Das äußere Erscheinungsbild des Vertrags schließt etwa aus – nicht Vertragsbestandteil daher: zu kleine Klauseln (kleiner als die Schriftgröße im Palandt; siehe § 305 BGB Rdn 91), ein Verstecken der Klausel an systematisch falscher und unerwarteter Stelle, helle graue Klauseln, die kaum zu lesen sind, ein Klauselteil in einer Fremdsprache (die nicht Verhandlungssprache ist); eine Schrifttype, die im Kleindruck nur mit Mühe gelesen werden kann, etc.
Rz. 8
Die Prüfungsschritte sind hierbei zweigleisig:
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untypisch und überraschend im Hinblick auf den Empfängerhorizont des für derartige Verträge typischerweise zu erwartenden Durchschnittskunden oder |
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untypisch und überraschend im Hinblick auf die konkrete Kundenerwartung, die sich durch die individuellen Umstände des konkreten Falles bei Vertragsschluss stützt. |
Rz. 9
Dies bedeutet umgekehrt, dass besondere Belehrungen, Hinweise oder Vereinbarungen den Überraschungseffekt nehmen können. Insoweit ist es auch nicht möglich, sich auf eine generelle Überraschung zu berufen, dies wäre zumeist auch widersprüchlich.
Rz. 10
Überraschende Klauseln können nach h.M. auch solche sein, die nicht von Rechtsvorschriften abweichen; § 307 Abs. 3 S. 1 BGB. Preise und Leistungen sind jedoch nicht in AGB anzutreffen und Modifizierungen hierzu unterliegen der Inhaltskontrolle. Echte deklaratorische Bedingungen sind niemals überraschend, denn diese gelten kraft Gesetzes. Insoweit ist dieser Auffassung nicht zu folgen.
Rz. 11
Dagegen können Einmalklauseln i.S.v. § 310 Abs. 3 BGB überraschend sein.
Rz. 12
Überraschende Klauseln kommen bei Verbraucherverträgen, aber auch im unternehmerischen Verkehr vor; die Erfahrungen eines Unternehmers können jedoch zu engeren Beurteilungsmaßstäben führen.
Rz. 13
Im Unterlassungsverfahren nach UKlaG ist § 305c Abs. 1 BGB nicht anwendbar. Liegt in einer überraschenden Klausel jedoch zugleich eine unangemessene Klausel i.S.v. § 307 BGB, so greift das Verbandsverfahren ein. Eine analoge Anwendung auf stets und generell überraschende Klauseln sollte jedoch nicht ausgeschlossen wer...