I. Individualprozesse
Rz. 14
Der Bundesgerichtshof hat in seiner Rechtsprechung im ersten Jahrzehnt nach Inkrafttreten des AGBG zum 1.4.1977 die Vorgängervorschrift des § 306a BGB, nämlich § 7 AGBG vor allem bei der Beurteilung von Zahlungs- und Sicherungsregelungen in Bauverträgen herangezogen. Es handelte sich um Fälle, in denen der Besteller auf Veranlassung des Unternehmers bei der mit diesem zusammenarbeitenden Bank unwiderrufliche Überweisungsaufträge hatte erteilen müssen oder die Verpflichtung übernommen hatte, bestimmte Geldbeträge zu hinterlegen oder eine Bankgarantie gestellt hatte. Durch derartige Gestaltungen wurde das Leistungsverweigerungsrecht des Bestellers (§ 11 Nr. 2 AGBG; nunmehr § 309 Nr. 2 BGB) ausgehebelt. Neben Entscheidungen, die derartige Regelungen über § 7 AGBG der Unwirksamkeitssanktion des § 11 Nr. 2 AGBG zuführten oder dies jedenfalls erwogen, gab es aber schon damals andere, die ihre Unwirksamkeit unmittelbar mit § 9 AGBG (nunmehr § 307 BGB) begründeten. Heute werden derartige Regelungen durchweg gemäß § 307 BGB kontrolliert.
Rz. 15
Für den Individualrechtsstreit bleiben als Anwendungsfälle des § 306a BGB deshalb allenfalls Vertragsgestaltungen, mit denen der kontrollfreie Bereich des § 310 Abs. 4 BGB erreicht werden soll (oben Rdn 6) oder solche, bei denen über die Festlegung der vertraglichen Leistungsgegenstände, also des Preisleistungsverhältnisses, Regelungen getroffen werden, die zwar bei Vermeidung einer intransparenten Gestaltung gemäß § 307 Abs. 3 BGB kontrollresistent sind, aber über ihren eigentlichen Regelungsgegenstand hinaus Rechte des Vertragspartners des Klauselverwenders beeinträchtigen.
Rz. 16
So hat der Bundesgerichtshof § 306a BGB auf einen Partnerschaftsvermittlungsvertrag angewandt, in dem der Klauselverwender für die verschiedenen von ihm zu erbringenden Leistungen verschiedene Preis festgelegt hatte, wobei die Preisfestlegung dergestalt erfolgt war, dass der Großteil der Gesamtvergütung zu Beginn des Vertragsverhältnisses zu entrichten war – mit der Folge der Entwertung des Kündigungsrechts des Vertragspartners nach § 627 BGB. Es fragt sich indes auch hier, ob es des Rückgriffs auf § 306a BGB bedarf: Richtigerweise ist in solch einem Fall zwar nicht die Preisfestlegung insgesamt, wohl aber die Aufspaltung der geschuldeten Gesamtvergütung auf die einzelnen der zu erbringenden Leistungen nicht nach § 307 Abs. 3 BGB kontrollfrei. Entsprechendes gilt in Ansehung der oben (siehe Rdn 6, 9) zitierten BGH-Entscheidungen; Hinweise in einem Katalog, denen Rechtswirkungen beikommen sollen, sind Allgemeine Geschäftsbedingungen mit der Folge der unmittelbaren Anwendung der §§ 305 f. BGB. Und der kontrollfähige Teil einer Klausel mit nicht kontrollfähigem Inhalt schlägt entweder auf die gesamte Klausel durch oder den Zielen der §§ 305 f. BGB wird dadurch genügt, dass der kontrollfähige Teil der Klausel einer Inhaltskontrolle unterzogen wird.
II. Verbandsprozess
Rz. 17
Bedeutung hat – und behält trotz des zwischenzeitlich erreichten Stands der Auslegung des § 307 BGB – der § 306a BGB im Verbandsprozess. Die Bestimmung kann hier Rechtshandlungen sanktionieren, die im Individualstreit nicht erfasst werden können, weil sie dort keine rechtlichen Wirkungen zeitigen. Typisches Beispiel hierfür ist der Fall, dass ein Unternehmen eine bestimmte, bislang auf eine mittlerweile verbotene Klausel gestützte Forderung weiterhin erhebt oder seine Mitarbeiter anweist, gegenüber seinen Kunden generell auch ohne vertragliche oder rechtliche Grundlage die Forderung zu erheben: Im Individualprozess erledigt sich ein derartiges Forderungsberühmen bei gehöriger Rechtsanwendung von selbst – aber eben nur dann, wenn es zum Individualrechtsstreit kommt, weil sich der Kunde gegen die Zumutung seines Vertragspartners zur Wehr setzt. Im Verbandsprozess eröffnet § 306a BGB in solchen Fällen die Möglichkeit generalpräventiven Eingreifens. Für den Fall einer Weisung der vorerwähnten Art ist das bereits entschieden.
Rz. 18
Damit ist freilich nicht gesagt, dass es in diesen Fällen überhaupt des Rückgriffs auf § 306a BGB bedarf: Die systematische unrichtige Forderungsberühmung erfüllt auch den Tatbestand wettbewerbswidrigen Verhaltens i.S.d. §§ 1 S. 1, 3 Abs. 2, 5 Abs. 1 Nr. 7 UWG, weshalb sie schon auf wettbewerbsrechtlicher Grundlage durch einen Unterlassungsanspruch sanktioniert werden kann. Auch hieran zeigt sich die geringe – oder möglicherweise gänzlich fehlende – praktische Bedeutung der Vorschrift.