Rz. 2
§ 308 Nr. 5 BGB ist nur auf fingierte Erklärungen des Vertragspartners anzuwenden. Wird eine Erklärung des Verwenders durch die Klausel fingiert, findet – bei deren Nachteiligkeit für den Vertragspartner – eine Überprüfung nach § 307 BGB statt. Nicht erfasst werden außerdem antizipierte Erklärungen, also solche die bereits bei Vertragsabschluss abgegeben werden, sich aber auf einen späteren Zeitpunkt und den Eintritt bestimmter Voraussetzungen beziehen. Dazu gehören unter anderem Verlängerungsklauseln, Änderungsklauseln, antizipierte Verfügungserklärungen und Erklärungsverpflichtungen. Verlängerungsklauseln sind z.B. solche, die einen Vertrag bei unterbliebener Kündigung automatisch verlängern; zu messen sind sie an §§ 309 Nr. 9b, 307 BGB. Änderungsklauseln bewirken, dass sich der Vertragsinhalt bei Eintritt bestimmter Umstände verändert; sie sind an § 307 BGB zu messen. Antizipierte Verfügungserklärungen, durch die der Verwendungsgegner sich mit der zukünftigen Schuld- oder Vertragsübernahme einverstanden erklärt oder eine antizipierte dingliche Einigung für die Bestellung von Pfand- oder Sicherungsrechten abgibt, sind nicht an § 308 Nr. 5 BGB zu messen, sondern an §§ 305c Abs. 1, 307 BGB. Erklärungsverpflichtungen sind Klauseln, die den Vertragspartner dazu verpflichten, zu einem späteren Zeitpunkt eine bestimmte Erklärung abzugeben. Sie unterliegen wegen der fehlenden Fiktion ebenfalls nicht § 308 Nr. 5 BGB.
Rz. 3
Erfasst wird die Fiktion von Willenserklärungen, ob eine Klausel eine solche enthält, ist durch Auslegung zu ermitteln.
Rz. 4
Beispiele:
Bei Nichtausübung des Widerrufsrechts soll der Vertrag als zustande gekommen gelten; eine Vertragsänderung soll als Rücktritt zu behandeln sein; die fehlende Geltendmachung von Einwänden gegen Rechnungsabschlüsse einer Bank nach Nr. 7 II AGB-Banken soll als Schuldanerkenntnis nach § 781 BGB zu werten sein; die Nebenkostenabrechnung im Rahmen eines Mietvertrags soll nach einer bestimmten Frist ohne Einwendungen als anerkannt gelten; keine Erklärungsfiktion dürfte dagegen anzunehmen sein, wenn bestimmt wird, dass Einwendungen gegen die Rechnung des Verwenders innerhalb eines Monats geltend zu machen sind.
Rz. 5
Auch die Fiktion rechtsgeschäftsähnlicher Erklärungen wie Fristsetzungen (z.B. § 323 Abs. 1 BGB), Anzeigen (z.B. § 170 BGB) und Mitteilungen (z.B. § 171 Abs. 1 BGB) fällt in den Anwendungsbereich. An rechtsgeschäftsähnliche Erklärungen knüpft das Gesetz unabhängig von einem Rechtsbindungswillen eine Rechtsfolge. Gleiches gilt für rein tatsächliche Erklärungen. Nicht erfasst wird hingegen die Fiktion eines mutmaßlichen Willens. Bei solchen Klauseln greift § 309 Nr. 12 BGB. Ebenfalls unter § 308 Nr. 5 BGB fallen Erklärungen bestimmter Dritter, wenn sich der Verwender diese zurechnen lassen muss.
Rz. 6
Eine Fiktion i.S.d. § 308 Nr. 5 BGB liegt vor, wenn nach Vertragsschluss abhängig von einem bestimmten Verhalten eine Erklärung als abgegeben gelten soll. Dem Vertragspartner wird keine Möglichkeit eingeräumt, den Nachweis zu erbringen, dass er die Erklärung tatsächlich nicht abgegeben hat. § 308 Nr. 5 BGB greift bei Fiktionen im engeren Sinne und bei unwiderleglichen Vermutungen ein. Von einer Fiktion ist etwa bei folgenden Formulierungsbeispielen auszugehen: "gilt als genehmigt", "gilt als abgegeben", "gilt als nicht abgegeben", "wird fingiert". Erfasst sind auch Klauseln wie "wird unwiderleglich vermutet", "wird ohne Möglichkeit des Gegenbeweises vermutet".
Rz. 7
Auch die widerlegliche Vermutung stellt einen Fall des § 308 Nr. 5 BGB dar, da es kaum zu rechtfertigen ist, entsprechende Klauseln dem strengeren Maßstab des § 309 Nr. 12 BGB zu unterwerfen, obwohl sie den Verwendungsgegner weit weniger belasten als Fiktionen.
Rz. 8
Die Handlung oder Unterlassung muss vom Verwendungsgegner ausgehen. Unabhängig vom Wortlaut ist aus dogmatischen Gründen für den Zeitpunkt der Fiktion an ein Handeln oder Unterlassen anzuknüpfen, das zeitlich nach der AGB-Einbeziehung in den Vertrag liegt. Die AGB gehören zum Vertrag und sind daher von der auf Abschluss gerichteten Willenserklärung des Verwendungsgegners erfasst. Demnach sind in den AGB enthaltene Erklärungsinhalte, soweit sie nicht an ein nach dem Vertragsschluss liegendes Verhalten anknüpfen, keine Fiktionen. Die Abgabe einer Erklärung wird also nach Einbeziehung der AGB fingiert.
Rz. 9
Eine Anwendung des § 308 Nr. 5 BGB auf Fiktionen, die an Handlungen oder Unterlassungen des Verwenders oder Dritter anknüpfen, ist wegen der Privilegierung des § 308 Nr. 5 BGB gegenüber § 309 Nr. 12 BGB abzulehnen. Handlungen in diesem Sinne können etwa die Benutzung oder Entgegennahme einer Leistung oder Sache sein, die Übernahme oder Ingebrauchnahme einer Mietsache, Nichtabholung von beim Verwender zurückgelassenen Gegenständen, Nichtablehnung bzw. Nichtzurücksendung einer Ware oder die Ingebrauchnahme einer Werkleistung.