Rz. 9
Neben dem allgemeinen Grundsatz der Beweislastverteilung (jede Partei, die den Eintritt einer Rechtsfolge geltend macht, hat die Voraussetzungen des ihr günstigen Rechtssatzes zu beweisen), gibt es zahlreiche gesetzliche oder richterrechtlich entwickelte Beweislastregelungen. So bestimmt etwa § 280 Abs. 1 S. 1 BGB, dass, wenn der Schuldner eine Pflicht aus dem Schuldverhältnis verletzt, der Gläubiger Ersatz des hierdurch entstehenden Schadens verlangen kann. § 280 Abs. 1 S. 2 BGB bestimmt jedoch in diesem Zusammenhang, dass S. 1 des § 280 Abs. 1 BGB nicht gilt, wenn der Schuldner die Pflichtverletzung nicht zu vertreten hat. Der Gesetzgeber verwendet hier konstruktiv die Regel-Ausnahme-Technik, um deutlich zu machen, dass es sich bei § 280 Abs. 1 S. 2 BGB um eine Beweislastregel handelt. Nach der allgemeinen Beweislastregel muss der Gläubiger die Pflichtverletzung durch den Schuldner gemäß § 280 Abs. 1 BGB beweisen. Der Beweis des Nichtvertretens obliegt dagegen dem Schuldner. In gleicher Weise regelt der Gesetzgeber den Verzugseintritt. So bestimmt § 286 Abs. 1 BGB, dass der Schuldner durch Nichtleistung trotz Fälligkeit und Mahnung in Verzug kommt. Diese Voraussetzungen hat der Gläubiger nach allgemeinen Grundsätzen zu beweisen. § 286 Abs. 4 BGB bestimmt demgegenüber als Ausnahme von diesem Grundsatz, dass der Schuldner dann nicht in Verzug kommt, wenn er die Nichtleistung nicht zu vertreten hat. Aus der Verwendung der Regel-Ausnahme-Technik ergibt sich auch hier, dass es sich bei § 286 Abs. 4 BGB um eine Beweislastregel handelt. Der Beweis, dass der Schuldner den Verzug nicht zu vertreten hat, obliegt dem Schuldner.
Rz. 10
Die Regel-Ausnahme-Technik zur Bestimmung der Beweislast verwendet der Gesetzgeber auch in anderer Form, etwa durch die Verwendung des Nebensatzes beginnend mit "es sei denn, (...)". So kann gemäß § 178 S. 1 BGB bei einem Vertragsschluss ohne Vertretungsmacht der andere Vertragsteil den Vertrag widerrufen, es sei denn, dass er den Mangel der Vertretungsmacht bei Abschluss des Vertrags gekannt hat. Den Mangel der Vertretungsmacht muss der andere Vertragsteil beweisen, um seine Widerrufsberechtigung zu erlangen. Die Kenntnis vom Mangel der Vertretungsmacht, die die Widerrufsberechtigung ausschließt, muss im Streitfall dagegen der Vertretene (bzw. dessen Vertreter) beweisen.
Rz. 11
Beweislastregelungen stellen auch gesetzliche Vermutungen dar, nach denen beim Vorliegen bestimmter Tatsachen auf andere Tatsachen geschlossen wird. So wird etwa gemäß § 891 Abs. 1 BGB vermutet, dass die im Grundbuch zugunsten einer Person eingetragenen Rechte dieser zustehen. Nach § 1006 Abs. 1 S. 1 BGB wird vermutet, dass der Besitzer einer beweglichen Sache Eigentümer ist. Auch die Vermutung der Richtigkeit und Vollständigkeit von Urkunden gehört hierzu und wird von dem Verbot des § 309 Nr. 12 BGB erfasst.
Rz. 12
Ebenso ist eine Abweichung von den Grundsätzen über den Beweis des ersten Anscheins (prima facie) gemäß § 309 Nr. 12 BGB unzulässig. Hiernach kann bei einem nach der Lebenserfahrung typischen Geschehensablauf von einer feststehenden Ursache auf einen bestimmten Erfolg geschlossen werden oder umgekehrt von einem feststehenden Erfolg auf eine bestimmte Ursache. So gilt etwa bei einem Sturz eines Fußgängers an einer Gefahrenstelle diese als Sturzursache. Bei dem Beweis des ersten Anscheins handelt es sich nicht um eine Beweislastumkehr, sondern um eine Beweiserleichterung. Gelingt es dem Gegner, die ernsthafte Möglichkeit eines abweichenden Verlaufs zu behaupten und ggf. zu beweisen, muss der Beweisführer hinsichtlich dieser Tatsache wieder den vollen Beweis erbringen.