Hella Slegt-Moens, Arlette R. van Maas de Bie
Rz. 48
Auch wenn die Scheidung der Ehegatten und die güterrechtliche Auseinandersetzung nach dem 23.8.1977 – Tag des Außerkrafttretens dieses Abkommens in den Niederlanden – stattfinden, ist für die güterrechtlichen Wirkungen der Ehe weiterhin auf das Haager Ehewirkungsabkommen von 1905 abzustellen, wenn die Ehe vor diesem Datum (23.8.1977) geschlossen worden ist. Da die Anknüpfung an die Staatsangehörigkeit des Ehemannes wegen der anzustrebenden Gleichbehandlung von Mann und Frau heute als nicht mehr zeitgemäß gilt, hat die Rechtsprechung versucht, die Anwendung des Haager EhewirkungsAbk. von 1905 auf möglichst wenig Fälle zu beschränken. So hat der Hoge Raad (HR) im Rhodesië-Urteil als zusätzliche Voraussetzung für den räumlich-persönlichen Anwendungsbereich des Abkommens von 1905 verlangt, dass nebst der Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaates des Mannes die Ehe mit der Rechtssphäre eines anderen Mitgliedstaates verbunden sein muss, z.B. durch die Staatsangehörigkeit der Frau vor oder nach der Eheschließung oder durch den Heiratsort.
Rz. 49
Das Haager EhewirkungsAbk. von 1905 knüpft an das Recht der Staatsangehörigkeit des Mannes zur Zeit der Eheschließung an (Art. 2 Abs. 1) und geht von der Unwandelbarkeit aus. Eine Änderung der Staatsangehörigkeit eines Ehegatten hat keinen Einfluss auf das anzuwendende Recht (Art. 2 Abs. 2). Das ganze Vermögen untersteht dem Heimatrecht des Mannes, ohne dass zwischen beweglichem und unbeweglichem Vermögen zu unterscheiden ist. Eine Rechtswahl ist nach dem Abk. von 1905 nicht zulässig. Nur eine materiellrechtliche Rechtswahl steht den Ehegatten offen (Art. 5).
Rz. 50
Die in der Chelouche/Van Leer-Entscheidung vom 10.12.1976 formulierte autonome Anknüpfungsleiter kommt erst dann zur Anwendung, wenn keine Übereinkommen/Verordnungen/Abkommen einschlägig sind. Beim Aufbau der Anknüpfungsleiter folgt der HR dem Unwandelbarkeitsprinzip. Um einen Statutenwechsel zu vermeiden, gilt daher der Tag der Eheschließung als maßgeblicher Anknüpfungszeitpunkt. Ausgangspunkt ist die Freiheit der Ehegatten, bei der Eheschließung oder während der Ehe zu bestimmen, welchem Recht ihr Ehegüterstand unterliegt.
Rz. 51
Bei fehlender Rechtswahl kommt die objektive Anknüpfungsleiter zum Tragen. Es gilt in folgender Rangfolge:
1. |
das gemeinsame Heimatrecht, |
2. |
das Recht des Staates, in dem die Ehegatten ihr erstes Ehedomizil begründet haben, oder hilfsweise |
3. |
das Recht, mit dem die Ehegatten auf andere Weise gemeinsam am engsten verbunden sind, es sei denn, dass eine der Härteklauseln eingreift. |
Rz. 52
Mit der Schaffung von drei Härteklauseln im autonomen IPR, die es ermöglichen, vom Verweisungsergebnis der Chelouche/Van Leer-Anknüpfungsleiter abzuweichen, hat der Hoge Raad die Rechtslage unnötig kompliziert gestaffelt.
Rz. 53
Zum Ersten hat der Hoge Raad in dem Chelouche/Van Leer-Urteil die Anknüpfungsleiter mit einer sog. Unannehmbarkeits-Härteklausel (onaanvaardbaarheids-exceptie) versehen. Danach ist am Verweisungsergebnis nicht festzuhalten, wenn die Anknüpfungsleiter im Einzelfall wegen Vorliegens besonderer Umstände zu einem unbilligen Ergebnis führen würde. Das Kriterium ist, dass es in hohem Maße unwahrscheinlich ist, dass ein niederländischer Ehemann und seine niederländische Frau unter denselben Umständen im selben Güterstand (d.h. im gesetzlichen Güterstand der Gütergemeinschaft) geheiratet hätten. Zusätzlich spielt eine Rolle, ob die Ehegatten die Anwendung des niederländischen Rechts hätten voraussehen können, weil etwa vor der Ehe bereits eine Verbindung zu den Niederlanden bestand. Sie ist nur in seltenen Ausnahmefällen anzuwenden, ihr kommt daher keine allgemeine Bedeutung zu.
Rz. 54
Zum Zweiten hat der Hoge Raad die Sabah-Härteklausel entwickelt. Da die Chelouche/Van Leer-Anknüpfungsleiter auch für Ehen gilt, die vor dem 10.12.1976 geschlossen worden sind, und die kollisionsrechtliche Rückwirkung nicht uneingeschränkt gelten soll, hat der Hoge Raad die Anknüpfungsleiter mit einer Härteklausel versehen, die eingreift, wenn die Ehegatten gutgläubig (z.B. aufgrund eines eingeholten Rechtsgutachtens) von anderen Kollisionsnormen bezüglich des Ehegüterrechts ausgegangen sind und infolgedessen redlicherweise annehmen durften, dass ihr Ehegüterstand durch ein anderes Recht beherrscht wird, und sie hierauf ihre vermögensrechtlichen Regelungen gegründet haben.
Rz. 55
Zum Dritten hat der Hoge Raad im Rhodesië-Urteil die Grundsätze der Redlichkeit und Billigkeit nach internem Recht als Härteklausel auf IPR-Ebene übertragen. Gemäß der objektiven Chelouche/Van Leer-Anknüpfungsleiter ist niederländisches Recht einschlägig, da beide Parteien zur Zeit der Eheschließung die niederländische Staatsangehörigkeit innehatten. Wegen Fehlens eines Ehevertrages gilt zwischen den Ehegatten der gesetzliche Güterstand der Gütergemeinschaft. Dennoch würdigte der Hoge Raad das jahrelange konsequente Verhalten der Parteien als hätten sie in Gütertrennung geheiratet und stellte ...