Prof. Dr. Barbara E. Reinhartz, Dr. Paul Vlaardingerbroek
1. Beginn des Scheidungsverfahrens
Rz. 72
Am 1.1.1993 ist das neue Ehescheidungsverfahrensrecht in Kraft getreten. Das wichtigste Ziel der Reform ist ein schnelles und einfaches Ehescheidungsverfahren. Das Verfahren beginnt mit einem Antrag. Die verfahrensrechtlichen Regelungen der Ehescheidung, Trennung von Tisch und Bett und der Auflösung der Ehe nach Trennung von Tisch und Bett, sind im 6. Titel des 3. Buches der Zivilprozessordnung (Wetboek van Burgerlijke Rechtsvordering) enthalten. Die Zuständigkeit für die Ehescheidung wird jetzt in Art. 4 Rv i.V.m. der Brüssel II-VO und seit 1.1.2012 im 3. Titel des 10. Buches des Zivilgesetzbuches geregelt. Ein Ehescheidungsverfahren dauert i.d.R. drei bis sechs Monate, sofern nicht mehrere Änderungsanträge eingebracht werden.
Rz. 73
Während des (Ehe-)Scheidungsverfahrens können vorläufige Maßnahmen getroffen werden (Art. 821 Rv). Diese Maßnahmen erstrecken sich bis zur Ehescheidung und sollen mögliche Schwierigkeiten, die aus Anlass des Verfahrens zwischen den Ehegatten entstehen können, vermeiden.
2. Anwaltszwang
Rz. 74
In den Niederlanden können nur Rechtsanwälte eine Scheidungsklage einreichen. Ehepaare ohne minderjährige Kinder, die ihre Beziehung beenden wollen und faktisch nur die vermögensrechtlichen Aspekte ihrer Ehe regeln müssen (z.B. Verkauf ihres Hauses), können die Einschaltung eines Rechtsanwalts als belastend empfinden. Für diese Gruppe, die über alle Aspekte der Ehescheidung Übereinstimmung erzielt hat, ist der Nutzen eines Rechtsanwalts beschränkt. Aus diesem Grund erwog der Justizminister im März 2008 das Einbringen eines Gesetzentwurfs, wonach auch einem Notar die Möglichkeit geboten werden soll, im Namen beider Ehepartner eine gemeinsame Scheidungsklage einzureichen, wenn dabei keine minderjährigen Kinder betroffen sind. Dieser Gesetzentwurf wurde am 24.9.2008 in der Zweiten Kammer eingebracht und am 15.3.2011 verabschiedet; allerdings scheiterte der Entwurf in der Ersten Kammer am 22.11.2011.
3. Ein neuer Gesetzentwurf: "Scheidung ohne Richter"
Rz. 75
Am 18.12.2015 hat die Regierung Rutte II einen neuen Gesetzentwurf ["Wijziging van Boek 1 en Boek 10 van het Burgerlijk Wetboek en enige andere wetten betreffende het uitspreken van de echtscheiding en ontbinding van het geregistreerd partnerschap door de ambtenaar van de burgerlijke stand (Wet scheiden zonder rechter)“; Kamerstukken II 2014/15, nr. 1–3)] bei der Zweiten Kammer des Parlaments eingebracht. Bei Inkrafttreten dieses Gesetzes können Ehepaare ohne minderjährige Kinder – wenn sie sich einig sind über die Scheidung der Ehe und über die Rechtsfolgen der Trennung – ohne Richter auseinander gehen. Dieser Gesetzentwurf hat viel Kritik bekommen von Rechtsanwälten, Richtern, Wissenschaftlern und anderen Experten. Letztendlich hat der Justizminister auch diesen Gesetzentwurf zurückgezogen (Brief vom 22.11.2017, EK 34.775 VI, F)."
4. Elternschaftsplan
Rz. 76
Mehr Erfolg hatte der damalige Justizminister mit dem Elternschaftsplan bei Ehescheidung. Seit dem 1.3.2009 ist das Gesetz zur Änderung von Buch 1 des Bürgerlichen Gesetzbuches und der Zivilprozessordnung im Zusammenhang mit der Förderung der fortbestehenden Elternschaft nach der Trennung und der Abschaffung der Möglichkeit, eine Ehe in eine registrierte Partnerschaft umzuwandeln (Gesetz zur Förderung der fortbestehenden Elternschaft nach Trennung und ordentliche Scheidung), in Kraft. Mit dem Gesetz wird beabsichtigt, die in der Praxis bestehende Scheidungsproblematik zu mildern. Das Gesetz ist darauf ausgerichtet, dass die Eltern frühzeitig über die Gestaltung der fortbestehenden Elternschaft nach der Trennung nachdenken und diesbezüglich angemessene Absprachen treffen, um unnötige Konflikte im Nachhinein zu vermeiden. Das Gesetz geht davon aus, dass der Fortbestand der Elternschaft nach der Trennung der Regelfall ist und beide Elternteile auch nach der Trennung für die Pflege, Erziehung und Entwicklung ihrer Kinder verantwortlich sind.
Rz. 77
Um darauf hinzuwirken, dass beide Elternteile sich der Folgen einer Scheidung für die Kinder bewusst sind und überprüfbare Absprachen über die Folgen treffen, wird vorgeschrieben, im Scheidungsantrag einen Elternschaftsplan aufzunehmen. Dieser Elternschaftsplan ist ein gutes Instrument, um Eltern anzuspornen, über die Konsequenzen einer Ehescheidung nachzudenken und angemessene Absprachen über die Erziehung der Kinder nach der Scheidung zu treffen. Bei der Erstellung des Elternschaftsplans kann ein Mediator behilflich sein. Eine Pflichtvermittlung über den Umgang in allen Konfliktfällen hielt der Minister für eine zu weitgehende Maßnahme und außerdem nicht für effektiv. Die Verpflichtung zur Hinzufügung eines Elternschaftsplans (über die elterliche Sorge, den Kindesunterhalt, den Umgang mit dem Kind und über die Information über das Kind nach der Ehescheidung) wurde auch für Anträge zur Beendigung einer registrierten...