Hella Slegt-Moens, Arlette R. van Maas de Bie
1. Die gesetzliche Verteilung
Rz. 88
Das niederländische Erbrecht beinhaltet eine gesetzliche Überlebendenregelung für verheiratete Personen mit Kindern. Wenn ein verheirateter Erblasser stirbt, werden der überlebende Ehegatte und die Kinder Erben. Der überlebende Ehegatte wird vom Gesetz jedoch weitgehend bevorzugt, weil er das alleinige Eigentum der Güter des Nachlasses erhält und den Kindern nur ein Forderungsrecht verbleibt (Art. 4:13 Abs. 2 und 3 BW). Dies ist eine "gesetzliche Verteilung" des Nachlasses. Diese gesetzliche Verteilung gilt auch bei einem überlebenden Ehegatten in zweiter oder dritter Ehe.
Rz. 89
Im Erbrecht vor dem 1.1.2003 war ebenfalls eine Überlebendenregelung im Gesetz aufgenommen, die sog. elterliche Auseinandersetzung des Eigentums (ouderlijke boedelverdeling). Diese Regelung war nicht von Gesetzes wegen anzuwenden. Der Erblasser sollte dies in sein Testament aufnehmen, anderenfalls hatte es keine Wirkung.
Rz. 90
Das Forderungsrecht der Kinder ist auf Zahlung eines Betrags gerichtet, der dem Wert ihres Erbteils entspricht. Der Betrag ist erst zur Zahlung fällig, wenn
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der überlebende Ehegatte stirbt; |
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über sein Vermögen Insolvenz erklärt wird; |
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das Gesetz über die Schuldsanierung natürlicher Personen auf ihn anzuwenden ist. |
Es findet von Rechts wegen eine nur geringfügige Inflationskorrektur statt, und zwar wird die Forderung der Kinder erhöht um die gesetzlichen Zinsen, wenn die gesetzlichen Zinsen mehr als 6 % p.a. betragen. Betragen die gesetzlichen Zinsen bspw. 7 %, beträgt die Erhöhung der Forderung der Kinder demzufolge nur 1 %. Der überlebende Ehegatte kann jedoch innerhalb von drei Monaten nach dem Tod des Erblassers durch Erklärung die gesetzliche Verteilung rückgängig machen. Dieser Rückgängigmachung kommt Rückwirkung zu. Sie muss durch notarielle Urkunde erfolgen. Damit gibt der überlebende Ehegatte den bevorzugten Platz auf und erhält eine erbrechtliche Stellung gleich den Kindern. Dies kann insbesondere auch aus steuerlichen Erwägungen zu bevorzugen sein.
Rz. 91
Praxishinweis:
Viele Menschen errichten ein Testament, in welchem sie den Anspruchsgrund der Kinder erweitern. Ebenfalls können in einem Testament Steuerklauseln, wie z.B. eine zinstragende Forderung, aufgenommen werden. Der Erblasser kann die Forderung der Kinder verzinsen. Durch die Verzinsung wird die Forderung i.R.d. Erbschaftsteuer höher bewertet. Demzufolge hat der überlebende Ehegatte eine höhere Erbschaftsteuer vorauszuzahlen.
2. Partner einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft
a) Lebenspartnerschaftsvertrag
Rz. 92
Partner mit einem Lebenspartnerschaftsvertrag sollten ein Testament verfassen, um die Einsetzung ihrers Partners als (Mit-)Erbe rechtlich verbindlich zu gestalten. Wenn Partner mit einem Lebenspartnerschaftsvertrag Kinder haben, ist es sehr wichtig, dass sie eine Überlebendenverfügung verfassen. Schließlich wird diese Gruppe nicht von gesetzlichen Überlebendenerbrechtbestimmungen geschützt. Dies betrifft mittlerweile eine große Gruppe von Niederländern, über deren genaue Größe keine genauen Daten bekannt sind, da das CBS keine Statistiken darüber führt.
b) Misch-/Patchworkfamilien
Rz. 93
Die sog. Mischfamilien oder Patchworkfamilien formen eine immer größere Gruppe in den Niederlanden. Dabei handelt es sich um Familien, in denen bspw. eine zweite Ehe oder eingetragene Partnerschaft besteht und (einer) der Partner bereits Kinder aus einer oder mehreren früheren Beziehungen hat. Manchmal haben die neuen Partner auch gemeinsame Kinder. In Patchworkfamilien kann es zu komplizierten Situationen kommen, da oft ein Interessenskonflikt besteht und es häufig unterschiedliche Wünsche und Erwartungen gibt. Daher ist die fachkundige Erstellung eines Testaments für diese Gruppe von großer Bedeutung. Es erfordert eine fachkundige Begleitung.
3. Willensrechte des Kindes
Rz. 94
Von Gesetzes wegen haben die Kinder bei einer gesetzlichen Verteilung sog. Willensrechte. Die Willensrechte wurden aufgenommen, um vorzubeugen, dass Güter des eigenen Elternteils über die gesetzliche Verteilung an den Stiefelternteil übergehen. Ist der überlebende Elternteil wiederverheiratet, ist ebenfalls die gesetzliche Verteilung anzuwenden. Wenn der überlebende Elternteil dann verstirbt, hat der Stiefelternteil das umfassende Eigentumsrecht an den Nachlassgütern und die Kinder erhalten wieder eine nicht aufforderbare Geldforderung (jetzt gegenüber dem Stiefelternteil) als Folge des Versterbens des Elternteils. Zwar können sie in diesem Fall ihre Geldforderung als Folge des Versterbens des ersten Elternteils geltend machen, jedoch besteht dieser nur in einer Geldforderung, nicht in einem Anspruch auf Übertragung der Güter.
Rz. 95
Gesetzlich ist vorgesehen, dass die Kinder in bestimmten Situationen einen Anspruch auf die Übertragung von Gütern haben, mit oder ohne Vorbehalt eines Nießbrauchs. Die Kinder können die Willensrechte in vier Situationen ausüben (Art. 4:19–4:22 BW):
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Hat der überlebende Elternteil seine Absicht, mit einem neuen Partner die Ehe eingehen zu wollen, angezeigt, ist er verpflichtet, auf Antrag des Kindes die Güter dem Kind zu übertragen, unter dem Vorbehalt des Nießbrauchs zuguns... |