Niederlande / VI. Das Prinzip der Nachlasseinheit

Rz. 20

Im niederländischen internationalen Erbrecht gilt das Prinzip der Nachlasseinheit. Das Erbstatut erfasst den ganzen Nachlass, ohne Rücksicht auf die Belegenheit des Nachlasses. Das Einheitsprinzip ist in Art. 7 Abs. 1 Haager ErbrechtÜbk. verankert. Es kann jedoch durchkreuzt werden, wenn der Erblasser gem. Art. 6 Haager ErbrechtÜbk. eine Rechtswahl zugunsten des Rechts mehrerer Staaten für die Vererbung bestimmter Güter des Nachlasses vorgenommen hat. Eine solche Rechtswahl darf jedoch nicht die zwingenden Vorschriften des sonst anzuwendenden Rechts durchkreuzen.

Rz. 21

Eine weitere Ausnahme zum Prinzip der Nachlasseinheit findet sich in Art. 15 des Übereinkommens, wonach für den Fall, dass in Bezug auf bestimmte Immobilien, Unternehmungen oder andere besondere Kategorien Güter, die in dem Belegenheitsstaat kraft wirtschaftlicher oder gesellschaftlicher Zwecke oder im Interesse der Familie besonderen Erbrechtvorschriften unterworfen sind, letztere Regeln Vorrang haben (vgl. auch Art. 3 Abs. 3 EGBGB).

Rz. 22

Schließlich kann die Weiterverweisung des Art. 4 Haager ErbrechtÜbk. das Einheitsprinzip durchkreuzen. Insoweit wird verwiesen auf Rdn 4.

Rz. 23

Dem Phänomen der Näherberechtigung trägt der niederländische Gesetzgeber Rechnung. Art. 10:147 Abs. 1 BW bestimmt, dass dann, wenn einer der Berechtigten in einem abzuwickelnden Nachlass gegenüber einem anderen Berechtigten durch die Anwendung des Belegenheitsrechts kraft des IPR des Belegenheitsstaates in Bezug auf ein im Ausland belegenes Gut benachteiligt wird, die Güter, die auf die Weise gemäß diesem Recht durch den anderen Berechtigten oder durch Dritten erworben sind, als rechtsgültig erworben anerkannt werden. Der benachteiligte Berechtigte hat jedoch einen Anspruch darauf, dass bei der Abwicklung des Nachlasses zwischen ihm und dem bevorteilten Berechtigten eine Verrechnung stattfindet, begrenzt auf den erlittenen Nachteil. Die Verrechnung ist ausschließlich möglich in Bezug auf Güter des Nachlasses^[12] bzw. durch Verminderung einer Last (Art. 10:147 Abs. 2 BW). Als Berechtigter wird derjenige angesehen, der aufgrund niederländischen materiellen Erbrechts als Erbe, Vermächtnisnehmer oder als Lastberechtigter angesehen ist (Art. 10:147 Abs. 3 BW). Trotz dieser Schutzregelung im niederländischen IPR kann es sich ergeben, dass der Erbe durch die Näherberechtigung benachteiligt bleibt.

Art. 10:147 BW ist nur auf die Erbfolge einer Person anzuwenden, die nach dem 1.10.1996 verstorben ist. Auf vor dem 17.8.2015 eingetretene Erbfälle ist Art. 10:147 BW nur anzuwenden, wenn das Gut in einem Staat belegen ist, der nicht an die EuErbVO gebunden ist (Art. 10:147 Abs. 1 BW).

[12] Siehe z.B. Rechtbank Breda, sector kanton, 9.6.2009, NIPR 2009, 190; Rechtbank Haarlem, 17.6.2009, NIPR 2010, 303; Gerechtshof Arnhem-Leeuwarden, locatie Arnhem, 21.3.2013, ECLI:NL:GHARL:2013: BZ8279, NIPR 2013, 198.