Prof. Dr. Barbara E. Reinhartz, Dr. Paul Vlaardingerbroek
Rz. 131
Seit Inkrafttreten des Gesetzes über das Scheidungsverfahrensrecht (Wet Scheidingsprocesrecht, 1993) müssen die Parteien dem Richter keinen Vorschlag über eine Regelung hinsichtlich ihrer Kinder oder ihrer vermögensrechtlichen Beziehungen mehr unterbreiten. Treffen sie aber eine solche Regelung (echtscheidingsconvenant‘), kann der Richter auf Antrag der Parteien die Regelung in Gänze oder zum Teil in seine Entscheidung aufnehmen (Art. 819 Rv). Dann liegt ein vollstreckbarer Titel vor (Art. 430 Rv). Seit 1.3.2009 sind Eltern von minderjährigen Kindern, die sich scheiden lassen wollen, allerdings verpflichtet, einen Elternschaftsplan gem. Art. 815 Abs. 1 Rv zu erstellen (siehe im Einzelnen Rdn 76 ff.), was dazu führte, dass diese ursprünglich freiwillige Vereinbarung (echtscheidingsconvenant) in den Hintergrund gedrängt wurde. Die Ehescheidungsfolgenvereinbarung ist zwar grundsätzlich formfrei, aber nicht im Zusammenhang mit minderjährigen Kindern.
Rz. 132
Vor oder nach der Entscheidung über die Ehescheidung können die Ehegatten vereinbaren, ob und bejahendenfalls welcher Betrag als nachehelicher Unterhalt zu zahlen ist. Enthält die Vereinbarung keine Dauer, während welcher Periode nachehelicher Unterhalt zu gewähren ist, dann ist Art. 1:157 Abs. 4–6 BW entsprechend anzuwenden (Art. 1:158 BW). Die Ehegatten können also die wirtschaftlichen Folgen ihrer Scheidung selbst regeln und zu diesem Zweck eine Unterhaltsvereinbarung abschließen. In dieser Vereinbarung können sie bestimmen, in welcher Höhe und für welche Dauer nachehelicher Unterhalt zu zahlen ist. Sie können aber auch vereinbaren, dass von nachehelichem Unterhalt abgesehen wird; dann liegt ein sog. “nihilbeding‘ vor. Die Unterhaltsvereinbarung kann wegen einer Änderung der Umstände angefochten werden. Art. 3:44 Abs. 4 jo. 3:59 BW ist anzuwenden. Die Vereinbarung kann durch den Richter geändert oder aufgehoben werden, wenn sie aufgrund geänderter Umstände gesetzlichen Maßstäben nicht mehr entspricht (Art. 1:401 Abs. 1 BW) oder wenn sie unter grober Verkennung gesetzlicher Maßstäbe abgeschlossen wurde (Art. 1:401 Abs. 5 BW). Die Parteien können die Anwendbarkeit von Art. 1:401 Abs. 1 BW allerdings ausschließen, indem sie in ihre Unterhaltsvereinbarung ein sog. Änderungsverbot aufnehmen. Trotz einer solchen Klausel kann der Richter auf Antrag einer der Parteien die Vereinbarung – anlässlich der Entscheidung über die Auflösung der Ehe oder in einer späteren Entscheidung – aufgrund einer derartig tiefgreifenden Änderung der Gesamtumstände, wonach der Antragsteller nach Maßgabe von Redlichkeit und Billigkeit nicht länger an der Vereinbarung festgehalten werden darf, abändern (Art. 1:159 Abs. 3 BW).
Rz. 133
Die Niederlande verfügen über eine große Erfahrung mit verschiedenen Formen der außergerichtlichen Konfliktregelung. Viele Konflikte können auf diesen Wegen gelöst werden, ohne dass ein Richter eingeschaltet werden muss. Auch die Anwaltschaft, welche – trotz ihrer primären Aufgabe der Prozessvertretung – es zu ihren Aufgaben rechnet, Konflikte vorwiegend außergerichtlich zu lösen, trägt zu dieser Entwicklung bei. Konfliktregelung im Allgemeinen und Streitschlichtung im Zusammenhang mit einer Scheidung im Besonderen stellen neue Formen der Konfliktregelung dar. Charakteristisch für diese Form der Konfliktregelung ist, dass die Parteien für die Lösung ihrer Konflikte selbst verantwortlich sind. Der Vermittler begleitet diesen zwischen den Parteien stattfindenden Prozess des Überlegens und Verhandelns. Er verschafft zwar Informationen, bietet aber keine Lösung an. Die Parteien haben das Gefühl, die Regelung selbst vereinbart zu haben, und empfinden es als wichtig, dass es gelungen ist, gemeinsam ohne Streit die Scheidungsfolgen zu regeln. Ungefähr drei Viertel der außergerichtlichen Streitregelungen werden mit einer Vereinbarung über alle wichtigen Themen abgeschlossen. Ein Jahr nach Abschluss der Vereinbarungen werden diese zu 60 % auch genauso eingehalten, wie sie seinerzeit vereinbart wurden. In Scheidungsverfahren werden mehr und mehr Mediators und/oder ein “bijzondere curator‘ durch den Richter eingesetzt für eine Beratung der Eheleute oder um eine außergerichtliche Lösung zu erarbeiten.