Hella Slegt-Moens, Arlette R. van Maas de Bie
Rz. 122
Falls der Erblasser im Testament z.B. einen Dritten zum alleinigen Erbe ernannt hat, können die Nachkommen das Pflichtteilsrecht geltend machen.
Rz. 123
Das Pflichtteilsrecht ist in Art. 4:63 BW geregelt.
Der Pflichtteil ist ein Teil des Wertes des Vermögens, auf den ein Pflichtteilsberechtigter Anspruch haben kann, bspw. wenn der verstorbene Elternteil den Pflichtteilsberechtigter enterbt hat. Der Pflichtteil gilt auch dann, wenn der verstorbene Elternteil durch Schenkungen dafür gesorgt hat, dass sein Erbe (nahezu) Null ist.
Der Pflichtteil beläuft sich auf die Hälfte des gesetzlichen Erbteils. Ebenso wie der gesetzliche Erbteil ist der Pflichtteil der Abkömmlinge ebenfalls nur ein Forderungsrecht. Nur die Nachkommen, die gesetzliche Erben sind, sind zum Pflichtteil berechtigt. Es besteht kein Recht mehr auf einen Anteil an den Nachlassgütern selbst, der Pflichtteilsberechtigte hat nur eine Geldforderung und wird Gläubiger des Nachlasses.
Der Pflichtteilsberechtigte ist ein Kind des Erblassers, kann aber auch ein Enkelkind oder weiterer Abkömmling des Erblassers sein (z.B. durch Ersatzerbe, wenn das enterbte Kind früher als der Elternteil verstorben ist).
Rz. 124
Bei der Berechnung der Höhe des Pflichtteils ist zwischen dem Bruchteil, der dem Pflichtteilsberechtigten zusteht (die Hälfte seines ordentlichen Erbanteiles, wenn er nicht enterbt worden wäre), und dem Umfang der Pflichtteilmasse zu unterscheiden.
1. Bruchteil des Pflichtteils (Art. 4:64 BW)
Rz. 125
Angenommen, ein Erblasser hinterlässt drei Kinder und einen Ehepartner, und hat ein Kind enterbt, so beträgt der Bruchteil, auf den der Pflichtteilsberechtigte Anspruch hat, ⅛.
Angenommen, ein Erblasser hinterlässt drei Kinder und hat keinen Ehepartner, und hat ein Kind enterbt, so beträgt der Bruchteil, auf den der Pflichtteilsberechtigte Anspruch hat, 1/6.
2. Die Pflichtteilmasse (Art. 4:65 BW)
Rz. 126
Der Pflichtteil errechnet sich aus dem Wert des Nachlassvermögens zuzüglich bestimmter Schenkungen und abzüglich bestimmter Schulden. Das wird bezeichnet als Pflichtteilmasse (de legitimaire massa).
Die folgenden Schenkungen des Erblassers werden bei der Berechnung der Pflichteilmasse berücksichtigt:
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Schenkungen, die offenbar mit der Aussicht auf eine Benachteiligung des Pflichtteilberechtigten gemacht und angenommen wurden; |
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Schenkungen, die der Erblasser jederzeit zu Lebzeiten hätte widerrufen können oder die er bei der Schenkung hätte rückfordern können; |
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Schenkungen von Vorteilen, die erst nach seinem Tod in vollem Umfang in Anspruch genommen werden sollen; |
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Schenkungen des Erblassers an einen Abkömmling, sofern dieser oder einer seiner Abkömmlinge Pflichtteilberechtigter des Erblassers ist; |
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sonstige Schenkungen, sofern die Leistung innerhalb von fünf Jahren vor seinem Tod erfolgte. |
Von der Geldforderung des Pflichtteilsberechtigten werden abgezogen:
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die Schenkungen, die der Pflichtteilsberechtigte vom Erblasser erhalten hat; |
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der Wert dessen, was der Pflichtteilsberechtigte nach dem Erbrecht erhält (ein ihm gemachtes Vermächtnis wird also vom Pflichteilsanspruch abgezogen); |
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der Wert dessen, was der Pflichtteilsberechtigte nach dem Erbrecht hätte erhalten können, aber nicht erhalten hat, weil er die Erbschaft oder das Vermächtnis abgelehnt hat. |
Die Möglichkeit, den Pflichtteil einzufordern, erlischt, wenn der Pflichtteilsberechtigte nicht innerhalb einer von einem Interessenten gesetzten angemessenen Frist, spätestens jedoch fünf Jahre, nachdem er seinen Anspruch hätte geltend machen können, erklärt hat, dass er seinen Pflichtteil erhalten möchte.
Grundsätzlich gilt, dass der Pflichtteilsberechtigte seinen Anspruch sechs Monate nach dem Tod des Erblassers geltend machen kann. Wenn die gesetzliche Verteilung gilt, muss der Pflichtteilsberechtigte warten, bis der überlebende Ehegatte stirbt (oder wenn sie/er in Konkurs geht bzw. eine Umschuldung beantragt).
Gemäß Art. 4:82 BW kann ein Erblasser ein Testament zugunsten seines Ehegatten auch mit der Bedingung versehen, dass der Anspruch eines Pflichtteilsberechtigten erst nach dem Tod des Ehegatten fällig und zahlbar ist.
Darüber hinaus können die Voraussetzungen für die Inanspruchnahme des Pflichtteilsberechtigten im Testament erweitert oder eingeschränkt werden.
3. Rückforderung (Art. 4:87 ff. BW)
Rz. 127
Stellt sich nach der Berechnung des Pflichtteils heraus, dass die Nachlassmasse nach der Testamentsvollstreckung nicht groß genug ist, um den Pflichtteilsberechtigten auszuzahlen, müssen Rückforderungen vorgenommen werden. Der Mangel kann verschiedene Ursachen haben. Möglicherweise hat der Erblasser in seinem Testament einen großen Teil seines Vermögens anderen vermacht, oder der Erblasser hat im Laufe seines Lebens viele Schenkungen an andere getätigt, sodass bei seinem Tod fast kein Vermögen mehr übrigblieb.
Rückforderung bedeutet, dass einer anderen Person etwas weggenommen wird.
Der Pflichtteilsberechtigte kann von der beschnittenen Person nur Geld verlangen, nicht aber Waren. Kann der Wert des Pflichtteils nicht aus der Nachlassmasse beglichen werden (z.B., weil der Erblasser zu Lebzeiten große Beträge an...