Erwin Rademakers, Diane de Vries
a) Haftung für Steuern und Sozialversicherungsbeiträge
Rz. 196
Geschäftsführer der B.V. können gesamtschuldnerisch haften, wenn die B.V. bestimmte Steuern und Sozialabgaben nicht (mehr) zahlen kann. Jeder einzelne Geschäftsführer der B.V. trägt die Verantwortung dafür, dass das Finanzamt (Belastingdienst), das Sozialamt (das Institut für Leistungen zugunsten von Arbeitnehmern (Uitvoeringsinstituut Werknemers Verzekering (UWV)) und der Rentenversicherungsträger (Bedrijfspensioenfonds) auf adäquate Weise informiert werden, wenn die Gesellschaft nicht länger fähig ist, bestimmte Steuern, Sozialabgaben und Prämien zu zahlen (betalingsonmacht). Sobald absehbar ist, dass die Gesellschaft nicht länger fähig ist oder sein wird, eine dieser Zahlungen zu leisten, soll dies so schnell wie möglich gemeldet werden, spätestens jedoch 14 Tage nach Fälligkeit der Zahlungen. Ob die Geschäftsführer gesamtschuldnerisch haften, ist abhängig davon, ob die versäumte Zahlung Folge einer (verwerflichen) offensichtlich unsachgemäßen Erfüllung der Aufgaben durch die Geschäftsführung (verwijtbaar kennelijk onbehoorlijk bestuur) ist. Die Beweislast für ein solches Missmanagement liegt bei den Organisationen, wenn eine sog. rechtsgültige Meldung vorliegt, d.h. wenn schriftlich, rechtzeitig und korrekt gemeldet wurde. Ist dies nicht der Fall, liegt die Beweislast bei den Geschäftsführungsmitgliedern. Der einzelne Geschäftsführer hat zu beweisen, dass ihn keine Schuld an dem Umstand trifft, dass (1) die Meldung nicht rechtsgültig vorgenommen wurde und (2) die Steuern, Sozialabgaben und Prämien nicht gezahlt wurden.
Rz. 197
Diese Haftungsansprüche können auch gegenüber faktischen Geschäftsführern geltend gemacht werden, die, obwohl sie offiziell nicht von der Hauptversammlung bestellt worden sind, so an der Führung der Gesellschaft beteiligt waren, dass sie Geschäftsführern gleichgestellt werden können.
b) Haftung im Insolvenzfall
Rz. 198
Die Geschäftsführer der B.V. können im Insolvenzfall individuell für die Verluste der Gesellschaft haftbar gemacht werden, wenn der Eintritt der Insolvenz in hohem Maße auf die offensichtlich unsachgemäße Erfüllung der Aufgaben durch die Geschäftsführung während des Zeitraums von drei Jahren vor Eintritt der Insolvenz zurückzuführen ist (Art. 2:248 NL-BGB).
Rz. 199
Nach niederländischem Recht hat die Geschäftsführung die Bücher so zu führen, dass die Rechte und Pflichten der Gesellschaft jederzeit erkennbar sind (Art. 2:10 NL-BGB). Außerdem müssen der Jahresabschluss und weitere finanzielle Informationen (z.B. der Bericht der Geschäftsführung und die Erklärung der Wirtschaftsprüfer (Art. 2:394 Abs. 4 i.V.m. Art. 2:392 NL-BGB)) über die Gesellschaft innerhalb von acht Tagen, nachdem der Jahresabschluss von der Hauptversammlung festgestellt wurde, zum Handelsregister eingereicht werden (Art. 2:394 Abs. 1 und Abs. 4 NL-BGB). Falls eine dieser zwei Verpflichtungen von der Geschäftsführung nicht erfüllt wurde, greifen zwei gesetzliche Vermutungen ein:
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Die unwiderlegliche Vermutung, dass die Geschäftsführungsaufgaben offensichtlich unsachgemäß erfüllt werden; und |
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die widerlegliche Vermutung, dass diese offensichtlich unsachgemäße Erfüllung der Geschäftsführungsaufgaben eine wichtige Ursache dafür ist, dass die Gesellschaft in die Insolvenz geraten ist. |
Rz. 200
Unter solchen Umständen haften demzufolge die Geschäftsführer gesamtschuldnerisch für das Defizit der Insolvenzmasse der Gesellschaft. Nach Art. 2:248 Abs. 3 NL-BGB kann ein Geschäftsführer die Haftung nur vermeiden, wenn er beweisen kann, dass
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ihn an der unsachgemäßen Geschäftsführung kein Verschulden trifft; und |
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er es nicht versäumt hat, Maßnahmen zur Vorbeugung gegen die Folgen der unsachgemäßen Erfüllung der Aufgaben zu treffen. |
Rz. 201
Nur der Insolvenzverwalter kann diese Klage i.S.v. Art. 2:248 NL-BGB erheben. Nur unsachgemäße Erfüllung der Aufgaben während des Zeitraums von drei dem Eintritt der Insolvenz vorangehenden Jahren kann zur Begründung der Klage herangezogen werden. Das Gericht ist befugt, den Betrag, für den die Geschäftsführer entweder gesamtschuldnerisch oder individuell haften, zu ermäßigen (Art. 2:248 Abs. 4 NL-BGB). Der Insolvenzverwalter kann auch eine Klage gegen Personen erheben, die so gehandelt haben, als wären sie Geschäftsführer der Gesellschaft (faktische Geschäftsführer). Weiter gilt diese Regelung auch für Mitglieder des Aufsichtsrats (Art. 2:259 NL-BGB).
Rz. 202
Am 1.7.2016 trat das Gesetz zur zivilrechtlichen Geschäftsführungsdisqualifikation (Wet van 8 april 2016 tot wijziging van de Faillissementswet in verband met de invoering van de mogelijkheid van een civielrechtelijk bestuursverbod (Wet civielrechtelijk bestuursverbod)) in Kraft. Die Art. 106a bis 106e Insolvenzgesetz enthalten Regeln über eine Geschäftsführungsdisqualifikation. Das Gesetz soll u.a. einer betrügerischen Geschäftsführung vorbeugen. Auf Anweisung der Insolvenzverwalter oder auf Verlangen der Staatsanwaltschaft kann das Gericht eine Disqualifikation aussprechen. Die Gründe, auf die eine Disqualifikation gestützt werden kann...