Erwin Rademakers, Diane de Vries
I. Rechtsgrundlagen
Rz. 260
Das niederländische Insolvenzrecht ist im Insolvenzgesetz geregelt. Außerdem beziehen sich einige Artikel aus dem Zweiten Buch des NL-BGB auf die Haftung und Position der Geschäftsführung und des Aufsichtsrats im Fall einer Insolvenz. Ferner bestimmt Art. 2:246 NL-BGB, dass die Geschäftsführung, ohne Auftrag der Hauptversammlung, nicht die Befugnis hat, über das Vermögen der B.V. die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens zu beantragen, es sei denn, der Gesellschaftsvertrag bestimmt etwas anderes.
Rz. 261
Vollständigkeitshalber sollen hier noch zwei andere Verfahren erwähnt werden, die das Insolvenzgesetz enthält. Das erste ist das Verfahren der Zahlungseinstellung (surseance van betaling). Dabei kann ein Schuldner, der absieht, dass er die Zahlung fälliger Verbindlichkeiten nicht leisten können wird, bei Gericht Zahlungseinstellung beantragen (Art. 214 Abs. 1 Insolvenzgesetz). Seit 1.1.2021 hat der Schuldner darüber hinaus die Möglichkeit – wenn er sich in einer Situation befindet, in der redlicherweise davon auszugehen ist, dass er die Zahlung seiner Verbindlichkeiten nicht weiter leisten können wird –, seinen Gläubigern und seinen Gesellschaftern, allen oder einzelnen, eine Vereinbarung zur Schuldentilgung anzubieten. Diese Vereinbarung kann auf Antrag vom Gericht i.S.v. Art. 384 Insolvenzgesetz homologiert werden (Art. 370 Abs. 1 Insolvenzgesetz). Dabei ist es nicht erforderlich (wie dies nach alter Rechtslage der Fall war), dass alle Gläubiger der Vereinbarung zustimmen. Dieses Verfahren erleichtert also den Abschluss einer Vereinbarung über eine Restrukturierung der Verbindlichkeiten, das Unternehmen kann seine wirtschaftlichen tragfähigen Aktivitäten weiterführen und eine Insolvenz wird verhindert.
II. Insolvenzgrund
Rz. 262
Das Insolvenzgesetz bestimmt, dass ein Schuldner, der seine Zahlungen eingestellt hat, aufgrund eigener Angabe oder auf Gesuch eines oder mehrerer Gläubiger durch gerichtliche Feststellung in die Insolvenz gerät (Art. 1 Abs. 1 Insolvenzgesetz). Reicht ein Gläubiger das Gesuch ein, so muss er beweisen, dass neben ihm auch noch (mindestens) ein weiterer Gläubiger unbefriedigt geblieben ist. Gegen das Urteil ist Berufung statthaft (Art. 8 Insolvenzgesetz).
III. Ermittlung des Insolvenzgrundes
Rz. 263
Der Insolvenzgrund wird vom Gericht nur marginal überprüft; die Hauptschuld muss bewiesen werden, die Nebenschuld muss nur glaubhaft gemacht werden. Der Betrag der unerfüllt gebliebenen Verbindlichkeiten ist irrelevant. Auch wenn feststeht, dass eine Gesellschaft zwei eher geringe Verbindlichkeiten nicht beglichen hat, wird das Gericht grundsätzlich Insolvenz feststellen. Die Insolvenz kann abgewendet werden, indem die fälligen Verbindlichkeiten erfüllt werden, die dem Gesuch zur Insolvenzerklärung zugrunde gelegt wurden.
Rz. 264
Das Gericht bestellt einen oder mehrere Insolvenzverwalter (meist einen Rechtsanwalt) und einen Insolvenzrichter. Der Insolvenzverwalter (curator) berichtet dem Insolvenzrichter (rechter-commissaris) regelmäßig über den Fortgang des Insolvenzverfahrens. Der Insolvenzrichter ist auch zuständig für die Behandlung der im Insolvenzgesetz genannten Anträge, wie z.B. den Antrag des Insolvenzverwalters, unter Eid Zeugen zu verhören, und dessen Antrag, Personen aufgrund von Insolvenzbetrug festzunehmen.
Rz. 265
Vom Zeitpunkt der Insolvenzerklärung an ist der Insolvenzverwalter für die insolvente Gesellschaft zuständig. Ohne Erlass des Insolvenzverwalters ist es der Geschäftsführung nicht gestattet, die Gesellschaft zu vertreten. Wegen der Eintragung der Insolvenzerklärung in das Handelsregister können auch Dritte sich nicht auf die Vertretungsbefugnis der Geschäftsführung berufen.
IV. Insolvenzantragspflicht der Geschäftsführer
Rz. 266
Die Geschäftsführung der B.V. ist nach niederländischem Recht nicht verpflichtet, die Insolvenz zu beantragen. Die Zahlungsunfähigkeit soll allerdings dem Finanzamt, dem Sozialamt und dem Rentenversicherungsträger gemeldet werden (siehe Rdn 196).
V. Haftung des Geschäftsführers und des Aufsichtsrats
Rz. 267
Zur Haftung der Geschäftsführung und des Aufsichtsrats wird auf Rdn 193 ff. verwiesen. Die Gesellschafter haften nur in Höhe des Nominalwertes der Geschäftsanteile (und möglicherweise für Agio), außer im Fall von unerlaubtem Handeln usw.