Rz. 8

Am 1.1.1998 ist das Gesetz über Scheinauslandsgesellschaften (Wet op de Formeel Buitenlandse Vennootschap – WFBV) in den Niederlanden in Kraft getreten. Ziel des WFBV ist es, Missbrauch von ausländischen Gesellschaften zu bekämpfen, der Umgehung zwingender Gesetze vorzubeugen und Gläubiger der Gesellschaft zu schützen. Gemäß Art. 1 gilt das WFBV für ausländische Gesellschaften, die nach dem Recht eines anderen Staates gegründet wurden, aber ihre Tätigkeiten ganz oder zum größten Teil in den Niederlanden ausüben und keine wirkliche Beziehung zu dem Land haben, in dem sie gegründet wurden. Mit dem Urteil des EuGH in Sachen Centros Ltd.[5] und Überseering[6] kam die Frage auf, ob das WFBV eventuell gegen die 11. Richtlinie[7] verstößt. Der EuGH hat dies mit seinem Urteil in Sachen Inspire Art Ltd.[8] bejaht.

 

Rz. 9

Inspire Art Ltd. war eine nach englischem Recht gegründete Gesellschaft, die ihre Geschäftstätigkeiten ausschließlich in den Niederlanden ausübte. Die Gesellschaft wurde nur zu dem Zweck in Form einer Ltd. gegründet, um die (damals bestehenden) niederländischen Mindestkapitalerfordernisse zu umgehen. Der Anwendungsbereich des WFBV ist demnach eröffnet. Inspire Art Ltd. galt als Gesellschaft i.S.d. WFBV, weigerte sich aber, der Eintragung in das niederländische Handelsregister i.S.v. Art. 2 WFBV nachzukommen. Gemäß Art. 2 WFBV ist die ausländische Gesellschaft verpflichtet, verschiedene Informationen im niederländischen Handelsregister eintragen zu lassen, z.B. Informationen über die ausländische Eintragung und die Hinterlegung der Gründungsurkunde.

 

Rz. 10

Als Antwort auf zwei präjudizielle Fragen hat der EuGH ausgeführt, dass einige Artikel des WFBV gegen den Grundsatz der Niederlassungsfreiheit, Art. 43 und 48 EGV (jetzt: Art. 49 und 54 AEUV), verstoßen. Die 11. Richtlinie regle die Harmonisierung von Offenlegungspflichten, die Mitgliedstaaten Niederlassungen in ihren Jurisdiktionen auferlegen können. Die Offenlegungspflichten, die aus dem WFBV folgen, gehen über den in der 11. Richtlinie vorgesehenen Katalog hinaus. Es handelt sich hier u.a. um folgende Verpflichtungen:

die Angabe im Handelsregister, dass die Gesellschaft eine Gesellschaft i.S.d. WFBV ist;
die Angabe des Datums der ersten Eintragung im ausländischen Handelsregister;
die Information über Alleingesellschafter (Art. 2 Abs. 1 WFBV);
die Hinterlegung eines Bestätigungsvermerks eines Wirtschaftsprüfers (Art. 4 Abs. 3 WFBV);
die Angabe auf ausgehender Post, dass die Gesellschaft als Gesellschaft i.S.d. WFBV qualifiziert ist.

Diese Anordnungen sind auch nicht durch Art. 46 EGV (jetzt: Art. 52 AEUV) gerechtfertigt. Art. 46 EGV (jetzt: Art. 52 AEUV) bestimmt, dass Mitgliedstaaten nur aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit Sonderregelungen für Gesellschaften aus anderen Mitgliedstaaten aufstellen dürfen. Das gilt auch für Regelungen, die sich auf den Zeitraum nach der Gründung und Anerkennung der Gesellschaft beziehen.

 

Rz. 11

Aufgrund dieses Urteils war der niederländische Gesetzgeber mehr oder weniger gezwungen, das WFBV zu ändern, da nun aus dem Inspire Art-Urteil folgte, dass das WFBV nicht länger auf Gesellschaften von EU- oder EWG-Mitgliedstaaten anwendbar ist.

 

Rz. 12

Die Reform des Gesetzes von 2005 beinhaltete hauptsächlich, dass – mit Ausnahme von Art. 6 WFBV – das WFBV nicht länger auf Gesellschaften der oben genannten Mitgliedstaaten anwendbar ist.[9] Art. 6 WFBV gilt uneingeschränkt weiter fort (Art. 1 Abs. 2 WFBV). Dieser Artikel bestimmt, dass Geschäftsführer und Aufsichtsratsmitglieder persönlich für einen Schaden haften, den Dritte wegen irreführender Darstellung der finanziellen Daten der Gesellschaft erlitten haben.

 

Rz. 13

Seit dem Brexit-Zeitpunkt werden Gesellschaften aus dem Vereinigten Königreich als Gesellschaften betrachtet, die außerhalb der EWG gegründet worden sind, und daher kann das WFBV anwendbar sein. Aus Anlass des Brexit wurde Art. 11a WFBV eingeführt;[10] er enthält Übergangsregelungen (z.B. Eintragung im Handelsregister) für Gesellschaften aus dem Vereinigten Königreich, die zum Brexit-Zeitpunkt als formell ausländische Gesellschaften i.S.d. WFBV galten.

[5] EuGH, Urt. v. 9.3.1999, Rs. C-212/97, ECLI:EU:C1999:126 (Centros).
[6] EuGH, Urt. v. 5.11.2002, Rs. C-208/00, ECLI:EU:C:2002:632 (Überseering).
[7] 11. EG-Richtlinie bezüglich des Gesellschaftsrechts 89/666/EEG.
[8] EuGH, Urt. v. 30.9.2003, Rs. C-167/01, ECLI:EU:C:2003:512 (Inspire Art).
[9] Die Änderungen wurden zum 28.4.2005 gesetzlich eingeführt, Staatsblad 2005, Nr. 230, und traten am 1.6.2005 in Kraft, Staatsblad 2005, Nr. 263.
[10] Die Änderung wurde eingeführt durch Einführung des Sammelgesetzes Brexit in Staatsblad 2019, Nr. 123.

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