Entscheidungsstichwort (Thema)
Frist für Antrag auf abweichende Steuerfestsetzung aus Billigkeitsgründen
Leitsatz (redaktionell)
- Zu den Voraussetzungen für eine abweichende Steuerfestsetzung aus Billigkeitsgründen gemäß § 163 AO.
- Aus dem Fehlen einer gesetzlichen Frist für einen Billigkeitsantrag folgt nicht, dass es für dessen Stellung keinerlei zeitliche Grenze gibt.
- Auch nach Ablauf der Festsetzungsfrist ist eine abweichende Steuerfestsetzung aus Billigkeitsgründen nur möglich, wenn der Antrag nicht unverhältnismäßig spät gestellt wird.
Normenkette
AO § 163
Nachgehend
BFH (Beschluss vom 02.12.2014; Aktenzeichen VIII R 40/12) |
Tatbestand
Streitig ist, ob die Klägerin Anspruch auf eine abweichende Feststellung von Besteuerungsgrundlagen aus Billigkeitsgründen gemäß § 163 der Abgabenordnung (AO) hat.
Die Klägerin ist eine Rechtsanwaltssozietät, die ihren Gewinn gem. § 4 Abs. 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG) durch Einnahmen-Überschuss-Rechnung ermittelt. Die von ihr erzielten Einkünfte aus selbständiger Arbeit werden von dem Beklagten (dem Finanzamt - FA -) gesondert und einheitlich festgestellt. Die Klägerin reichte die Feststellungserklärungen für die Streitjahre 1998 bis 2000 jeweils in dem auf den Feststellungszeitraum folgenden Kalenderjahr ein. Aufgrund einer in der Zeit von Januar 2002 bis April 2002 durchgeführten Außenprüfung erließ das FA am 13. Mai 2002 geänderte Feststellungsbescheide für die Jahre 1998 bis 2000 und hob den Vorbehalt der Nachprüfung auf.
Nachdem diese Bescheide bestandskräftig geworden waren, stellte sich heraus, dass eine später ausgeschiedene Mitarbeiterin der Klägerin in der Zeit von 1998 bis 2002 zur Aufladung des Gerichtskostenstemplers bestimmte Barabhebungen von Konten der Klägerin teilweise für eigene Zwecke verwendet und ihre Arbeitgeberin durch Vorlage verfälschter Quittungen über den Verbleib der Gelder getäuscht hatte.
Da die Klägerin die Gerichtskosten als durchlaufende Posten behandelte, hatten die unterschlagenen Beträge keine Auswirkungen auf die von der Klägerin ermittelten Gewinne. Erst in der im Dezember 2002 erstellten Gewinnermittlung für 2001 holte sie den Betriebsausgabenabzug der in den Jahren 1998 bis 2000 veruntreuten Beträge nach. Die von der früheren Mitarbeiterin in den Jahren 2003 bis 2005 geleisteten Schadensersatzzahlungen erfasste sie in den Gewinnermittlungen der jeweiligen Jahre als Betriebseinnahmen.
Im Anschluss an eine vom 21. bis 24. November 2005 durchgeführte Außenprüfung für die Jahre 2001 bis 2003 vertrat der Prüfer die Ansicht, dass der im Jahr 2001 nachgeholte Betriebsausgabenabzug nicht gerechtfertigt sei. Er ließ lediglich die im Prüfungszeitraum unterschlagenen Beträge zum Betriebsausgabenabzug zu. Die Erfassung der im Jahre 2003 vereinnahmten Schadensersatzzahlung als Betriebseinnahme ließ er unverändert.
Durch Bescheide vom 15. Mai 2006 änderte das FA die Feststellungsbescheide 2001 bis 2003 entsprechend den Prüfungsfeststellungen. Über die hiergegen eingelegten Einsprüche hat das FA noch nicht entschieden.
Mit Schreiben vom 28. August 2006 beantragte die Klägerin, im Wege einer abweichenden Steuerfestsetzung aus Billigkeitsgründen die in den Jahren 2003 bis 2005 vereinnahmten Schadensersatzleistungen um die unterschlagenen Beträge zu vermindern, hilfsweise die Gewinne der Jahre 1998 bis 2000 um die unterschlagenen Beträge zu verringern. Zur Begründung führte sie aus, die im Anschluss an die Außenprüfung erlassenen Gewinnfeststellungsbescheide für die Jahre 1998 bis 2000 könnten allein wegen der Änderungssperre gemäß § 173 Abs. 2 AO nicht mehr geändert werden. Es sei jedoch sachlich unbillig, die Schadensersatzleistungen als Betriebseinnahmen zu erfassen, ohne dass die vorangegangenen Vermögenseinbußen als Betriebsausgaben abgezogen worden seien.
Durch Bescheid vom 21. September 2006 lehnte das FA die Anträge ab. Den dagegen eingelegten Einspruch wies es durch Einspruchsentscheidung vom 5. April 2007 als unbegründet zurück. Die dagegen erhobene Klage hatte teilweise Erfolg. Durch Urteil vom 2. Dezember 2009 hob das Niedersächsische Finanzgericht den Ablehnungsbescheid mitsamt des dazu ergangenen Einspruchsbescheids insoweit auf, als das FA die von der Klägerin hilfsweise begehrte Billigkeitsmaßnahme für die Jahre 1998 bis 2000 abgelehnt hatte, und verpflichtete das FA, die Klägerin unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden. Es vertrat die Ansicht, dass die Voraussetzungen für eine abweichende Feststellung der Besteuerungsgrundlagen aus Billigkeitsgründen vorlägen, weil die Feststellungsbescheide 1998 bis 2000 offensichtlich und eindeutig unrichtig seien und die Klägerin durch die eingetretene Bestandskraft und die Änderungssperre nach § 173 Abs. 2 AO gehindert gewesen sei, deren Änderung herbeizuführen. Der Eintritt der Feststellungsverjährung stehe der Gewährung der Billigkeitsmaßnahme nicht entgegen, doch werde das FA zu prüfen haben, ob die Klägerin ihren Billigkeitsantrag unverhältnismäßig spät gestellt h...